"22 Die Gründungszeit gehört normalerweise zu den Zeitabschnitten im Leben P.Kentenichs, den wir zu Beginn unseres „Schönstattdaseins“ intensiv aufnehmen. Die Kenntnis ist auch durch die Sekundärliteratur erleichtert. Von besonderem Nutzen ist dafür das Buch von F.Kastner (UdSch 40), das 1939 zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum Schönstatts erstmals herausgegeben wurde.
- MTA 1916ff
23 Trotzdem halte ich diese Periode noch nicht für genügend erforscht, und es gibt wohl einige Gründe, wieso wir uns oft - oft zu wenig? - mit den Texten dieser Zeit beschäftigen. Es ist mühsam, sich durch die Texte der Zeitschrift „ Mater ter admirabilis“ (MTA) hindurchzuquälen, lange nicht alle können die alte Frakturschrift lesen, und es ist einfach schwieriger, sich mit einer Periode zu beschäftigen, in der noch viel Schönstattleben erst im Keim vorhanden war. Ich nehme an, dass P.Kentenich darüber nicht so froh wäre, weil er sich offensichtlich sehr Mühe gegeben hat, das Material zu sammeln, ja, sogar aus der MTA eine Art Handbuch machen wollte, in dem „ das Erziehungssystem“ zur Darstellung gebracht werden sollte: Im Zentrum des 1. Jahrganges steht die Marienverehrung, „im Mittelpunkt des zweiten Jahrganges steht das Partikularexamen, des dritten die geistliche Tagesordnung und des vierten das persönliche Ideal“ (vgl. „ Briefwechsel mit Prof. Kleist <BrKleist 19> S.3).
- Briefe an J.Fischer u.a.“ <BrFrüh 15>
Es ist zu hoffen, dass bald einmal die Briefe aus der Frühzeit zugänglicher werden, die Möglichkeiten bis jetzt sind beschränkt (vgl. „ Briefe an J.Fischer u.a.“ <BrFrüh 15>).
- „Unter dem Schutze Mariens“ <UdSch 40> ,
- “Erbe und -Aufgabe“ <EA 32>
24 Gute Dienste leistet die Textsammlung „ Erbe und Aufgabe“, die ohne Kommentar eine Menge Texte aus der Gründungszeit zum Abdruck brachte. Sie erschien zuerst in der MTA 1932 und wurde hernach als Sonderdruck herausgegeben (EA 32). Ich meine, das Hauptkriterium der Auswahl war, möglichst
alle Artikel zu erfassen, die von P.Kentenich stammen oder zumindest stark von ihm überarbeitet waren. Ich habe kaum noch andere gefunden. F.Kastner hat dann 1939 neue Texte mit Kommentar („Unter d.Schutze Mariens“ <UdSch 4o> herausgegeben, die mehr um 1912-1914 kreisten. Die beiden Bücher ergänzen sich also gut.
Nach diesen Bemerkungen zu grösseren Textsammlungen möchte ich einzelne Texte kurz kommentieren, die mir sehr wichtig erscheinen.
Die Gründungsurkunden
25 Die wichtigsten und berühmtesten Dokumente sind die „Vorgründungsurkunde“ <VGU 12> und die „1.Gründungsurkunde“ <1.GU 14>. P.Kentenich hat selbst häufig diese Dokumente zitiert und kommentiert. Er sagte auch aus, dass er die Gründungsurkunde im Gegensatz zur sonstigen Praxis auswendiggelernt und wörtlich vorgetragen habe!
- „Vorgründungsurkunde“ <VGU 12>
Die „Vorgründungsurkunde“ (VGU 12> wurde m.W. erstmals von P.Kastner veröffentlicht. Sie ist ein eindrückliches Zeugnis des Vorsehungsglaubens, der pädagogischen Intention P.Kentenichs: Selbsterziehung als Imperativ der Zeit. Es ist auch einer der Texte über die grundsätzliche Stellung der Freiheit.
- „1.Gründungsurkunde“ < I.GU 14>
Zur „1.Gründungsurkunde“ möchte ich hier - zu all dem, was man normalerweise schon weiss - folgendes sagen. So wichtig diese Vortragseinleitung - als das erscheint sie zunächst geschichtlich - ist, so lange hat es auch gedauert, bis sie in ihrer Bedeutung erkannt wurde. 1919 wird sie von P.Kentenich erstmals veröffentlicht (in: „Höhenblicke“ <Hbl 19>), und zwar als Vortrag, der die Idee des Gnadenkapitals entstehen lässt. Der Text wurde zu diesem Anlass überarbeitet, was sich nicht nur an den bekannten Änderungen am Schluss der 1. GU 14 zeigt, sondern auch während des Textes. 1924 feiert man noch nicht 10 Jahre Gründung, sondern 5 Jahre „Bund“ (Hörde). Erst mit der Zeit wird die Bedeutung der Gründungsurkunde und damit auch die entsprechende gläubige, theologische
Ausdeutung entwickelt. Ich werde noch später darauf zurückkommen. Eine kritische Ausgabe der 1. GU 14 gibt es noch nicht.
Berichte und Chroniken
26 Sehr wertvoll scheinen mir die geschichtlichen Dokumente zu sein. P.Kentenich hat nicht nur später darauf gesehen, dass man gute Chroniken führte als Mann des Vorsehungsglaubens -, sondern hat auch selber in einer Zeit, wo er wohl der einzige war, der die später sich zeigende Grösse des Werkes ahnte und an sie glaubte, Chroniken verfasst und sie abschreiben lassen. Ohne diese Dokumente würde uns wohl viel fehlen. P.Kentenich beschreibt die Vorgänge aus seiner Perspektive. Aber
gerade das gibt uns über seine Intentionen am besten Aufschluss.
- „Chronikentwürfe Cmin. 1915f“ (ChrE 15>
- „Chronik der Congr. Maior“ <CCM 16>
- „Chronik über Vorgeschichte“ <ChrVor 19>
- „Für Internatskongregationen“ <IntK 19>
Es mag wohl manchmal etwas mühsam sein, die Art und Weise der pädagogischen Führung P.Kentenichs herauszuarbeiten, aber es lohnt sich. Und für mich ist das der interessanteste Aspekt dieser Chroniken.
Reflexion
27 P.Kentenich ist aber nicht nur der Geschichtler oder nur der Praktiker, er hat auch immer das Bedürfnis nach Reflexion, den Eros nach der Suche der Prinzipien, pflegte seinen methodischen Schritt des „ Straffens“. Das zeigt sich nun in seinen reflektierenden Texten, seinen Vorträgen und seinen Studien, die auch in dieser Zeit schon als Briefe entstanden.
- „Vorträge zur Seelenkunde“ <VSeel 12>
Wichtig sind hier einmal die „ Vorträge zur Seelenkunde“ <VSeel 12> die F.Kastner herausgegeben hat. Ich meine zwar nicht, dass man hier schon die psychologische Intuition P.Kentenichs sehr deutlich sehen kann. Die Texte lehnen sich sehr an die scholastische philosophische Psychologie an, lassen freilich öfters einmal die Eigenerfahrung P.Kentenichs mit seelischen Zwängen durchblicken. Aber
repräsentativ für die Psychologie P.Kentenichs kann man diese Vorträge noch nicht nennen. Wohl zeigen sich ganz klare Grundrichtungen: Eingehen auf die Individualität des Einzelnen und das Berücksichtigen seines jeweiligen Stadiums und seiner Fähigkeiten. Das sind Anliegen, die damals durchaus im Sinne der katholischen Reformpädagogik aktuell waren.
- „Kindliche Marienverehrung“ <Vortr (3.5.) 14>
- „Ritterliche Marienverehrung“ <Vort (10.5.) 14>
- „ Maria und unser Ziel“ <Vortr (17.5.) 14>
- „ Psychologie der M.-Verehrung“ <PsyMV 17>
28 Das Marianische in dieser Gründungszeit ist, wie wir wissen, eine selbstverständliche Lebensquelle. Wir sind kaum informiert über die inhaltlichen Züge des Marienbildes, das P.Kentenich damals verkündete. Seine Schriften kreisen mehr um die Vermittlung der Marienverehrung, eben im Sinne der psychologischen Pädagogik, die versucht, am konkreten Menschen nicht vorbeizuwirken. Näheres dazu VAUTIER 1981, § 41f.
- „ Brief an Prof. Rademacher“ <BrRad (5.2.) 17>
- „ Briefwechsel mit Prof. Kleist“ <BrKleist 19>
29 Noch sind die Briefe P.Kentenichs kaum zugänglich. Aus dieser frühen Zeit gibt es zwei Briefwechsel, die anscheinend schon früh in Abschriften kursierten, den Briefwechsel mit Prof. Rademacher („Psychologie der M.-Verehrung“ <PsyMV 17> und „ Brief an Prof. Rademacher“ <BrRad (5.2.) 17> sowie einen Briefwechsel mit einem Prof. v. Kreist aus Breslau, der wahrscheinlich ein eifriger Präses von Marianischen Kongregationen war und unbedingt Schönstatt zur stärkeren Berücksichtigung der Grignon‘schen Marienverehrung bringen wollte.
Thematisch geht es im „ Brief an Prof. Rademacher“ <BrRad (5.2.) 17> um: Natur und Gnade, das Erziehungsziel, die psychologische Betrachtung der Marienverehrung. Im „ Briefwechsel mit Prof. Kleist“ <BrKleist 19> geht es hauptsächlich um die Art der Marienverehrung in Schönstatt und die Seelenführung junger Menschen.
- „ Der Geist der Kongregation“ <GeKo 16>
- „ Die MK in pä dg. Beleuchtung“ <MKPä d 13>
30 Die Reflexion auf seine Tätigkeit zeigt sich auch in den Texten, die über die Marianische Kongregation handeln. Dass P.Kentenich eine solche gründete, ist ja nicht zufällig, und er selbst hat dies auch reflektiert und angegeben, warum er gerade diese Organisationsform schätzte. Die Reflexionen zeigen, dass das Marianische zunächst einmal nicht das wichtigste und ausschlaggebenste war. Der bekannteste dieser Texte ist „ Der Geist der Kongregation“ <GeKo 16>, doch gibt es dazu interessante Parallelen. „Die MK in pädg. Beleuchtung“ <MKPä d 13> ist ein Text, der erst 1919 veröffentlicht wurde, aber es spricht einiges dafür, dass die Ansprache 1913 in der Marianischen Kongregation des damaligen Lehrerinnenseminars in der Marienau gehalten wurde. Ebenfalls ist zu nennen der bereits erwähnte Text „ Hochschule chr. Freiheit“ <PrMK 12> , sowie entsprechende Abschnitte in den Chroniken <CCM 16, ChrE 15, ChrVor 19, IntK 19>.
1919: Rückblick und Hörde
- „ Höhenblicke“ <Hbl 19>
31 Nachdem der Krieg zu Ende war, trat Schönstatt in eine neue Lebensphase. Das beginnende Schönstatt war praktisch im Krieg gewachsen und in seiner Struktur angepasst auf das Studienheim und auf Soldaten im Feld. Nun ging es darum, das Gewordene zu sichern und nur zu strukturieren.
Der Artikel „Höhenblicke“ <Hbl 19> ist für mich ein sehr wichtiges und auch ein sehr illustratives Dokument. Darin blickt P.Kentenich auf die ersten Jahre zurück und versucht einem neuen Leser der MTA Schönstatt zu erklären. Er tut es unter dem klar durchgeführten Gesichtspunkt: Gnadenkapital. P.Kentenich veröffentlicht nun zum ersten Mal die 1. Gründungsurkunde als „ Vortrag“ in der „ersten
kirchlichen Feier in unserem kleinen Heiligtum”. Bei dieser Feier „wurde der Plan zum Gnadenkapital entworfen“ (Hbl 19, S. 95). Die Gründungsurkunde wurde überarbeitet wiedergegeben. Der Artikel zeigt sehr deutlich die geschichtliche Denkweise und das historische Bewusstsein P.Kentenichs.
- „Hörder Dokumente“ <Hörde 69>
- „Brief: Schilderhebung“ (BrGF (6.11.) 19>
- „Brief: über Gruppenführer“ (BrGF (20.11.) 19>
32 Im August 1919 findet die berühmte Hörder Tagung statt, zu der P.Kentenich die Statuten der Bewegung verfasst und aus welcher der „ Apostolische Bund“ entsteht. Die beiden Briefe an die Gruppenführer aus dem Herbst 1919 sind programmatisch für die nun beginnende Periode Schönstatts. „ Brief: Schilderhebung“ <BrGF (6.11.) 19> ist für die Zielsetzung programmatisch und zeigt auch die Zeitbezogenheit mit der Erwähnung der sozialen Frage. Der andere Brief „ Brief: über Gruppenführer“ <BrGF (20.11.) 19>, über Erziehung und über die Aufgaben des Gruppenführers, greift wieder die pädagogische Zielsetzung auf.
Damit sind natürlich noch lange nicht alle Texte dieser Zeit besprochen. Ausserdem Material in UdSch 40 findet sich auch noch in EA 32 und in der MTA weiteres Studienmaterial. Es steht auch noch zu hoffen, dass aus den Briefen und Dokumenten noch das eine oder andere wichtige mit Kommentar herausgegeben werden kann." Vautie: Einleitung