Wert und Wesen der Freude

Vollkommene Lebensfreude
D-Gute Mitschrift

Dritter Vortrag (vormittags)

Wir haben heute morgen unsere Vorbereitungsarbeit für die Exerzitien abgeschlossen. Priesterliche Lebensfreude, vollkommene priesterliche Lebensfreude steht nunmehr als ein großes, erstrebenswertes Ziel vor uns, das alle unsere Wünsche und Sehnsüchte an sich kettet. Und somit können wir beginnen mit dem Ringen um dieses hohe Gut, mit dem Kampf um eine vollkommene priesterliche Lebensfreude. Wir wollen dabei aber nicht vergessen, daß wir dabei nicht allein sind.

Wir wollen dabei nicht vergessen: Wir befinden uns im Abendmahlssaal. Et omnes erant perseverantes unanimiter in oratione cum Maria matre Jesu (Apg 1,14). Wir scharen uns erneut um die liebe Gottesmutter. Wir wissen ja, es soll uns ein tiefer Mariengeist, ein Gebetsgeist und ein Einsamkeitsgeist begleiten. Die Gottesmutter faltet mit uns die Hände. Wir tun es als Familie mit ihr. Emitte Spiritum tuum, sende deinen Geist, den Geist der vollkommenen priesterlichen Lebensfreude, und unser ganzes Leben bekommt eine andere Wendung, eine andere, neue, starke innere Umformung und Umgestaltung!

Beide, persönliches Ringen und göttliche Gnadenkräfte, suchen also erlebnismäßig und erkenntnismäßig innezuwerden, was wahre Freude ist und wo die Quellen der wahren Freude liegen. Meine Herren, damit habe ich Ihnen die beiden Leitgedanken, die beiden großen Teile und Stützen unseres Exerzitiengebäudes angegeben: Ringen wollen wir zunächst um wahre Freude, aber dann auch gleichzeitig die Quellen dieser wahren Freude aufdecken und gleichzeitig ringen, der Quellen der wahren Freude persönlich innerlich innezuwerden, sie uns anzugliedern.

Wenn Sie diese beiden Teile unserer Exerzitien einmal bei Licht besehen, werden Sie sehen und zugeben: Beide sind in sich so umfassend, daß sie schon leicht Stoff genug abgeben für zwei Exerzitienkurse. Wir wollen sie aber als organische Ganzheit vor uns sehen, weil wir uns gewöhnt haben, unsere Exerzitien immer aufzufassen als Anstoß, als richtunggebend für zwölfmonatliche Arbeit. So viele Gedanken, so viele innere Erlebnisse müssen wir mit nach Hause nehmen, daß wir zwölf Monate reichlich Stoff haben, um sie zu verarbeiten und weiterzugeben. Sie werden bald sehen, daß diese beiden Gedankengänge wirklich eine organische Einheit darstellen: Liebe und Freude, Freude und Liebe.

Wer die letztjährigen und die vorletztjährigen Exerzitien durchgearbeitet hat, fühlt wohl: Hier haben wir den Abschluß der Gedankengänge des letzten Jahres. Sie mögen sich erinnern, wie wir zwei Gedankengruppen bewußt abseits liegen ließen. Wir sprachen von dem Stehen im göttlichen Licht, in göttlicher Stärke und Kraft und Frieden und in der göttlichen Freude. Diese beiden letzten Gedanken haben wir - so sagten wir voriges Jahr - verschoben auf dieses Jahr1. Das Stehen in göttlicher Kraft, was ist das? Das ist das Stehen in der göttlichen Liebe, das Stehen in der göttlichen Freude: was wir jetzt vollkommene priesterliche Lebensfreude nennen. Diese beiden Momente wollen nun als eine organische Einheit gesehen werden. Von der Freude aus wollen wir Entdeckungen und Eroberungen machen mitten in das große, ganz große Gebiet des gesunden modernen Heiligkeitslebens und -strebens.

Sie ahnen vielleicht, wer uns hier in besonderer Weise Schutz und Stütze sein will. Wir haben schon darauf hingewiesen. Was wir im einzelnen zu besprechen haben, ist eine ganz ausgeprägte salesianische Aszese. Es wird da und dort vorkommen, daß wir vom heiligen Franz von Sales Aufstellungen hören, die dem Landläufigen stark zuwider sind, die aber zutiefst unsere persönlichen Wünsche treffen. Es mag von vornherein eine ganz große Ruhe unsere Seele erfüllen, wenn ich Sie daran ernnere: Der heilige Franz ist auch Kirchenlehrer wie der heilige Thomas und der heilige Alfons von Liguori! Wenn also die Meinungen aufeinanderstoßen, und wir, die wir uns gar stark vom heiligen Thomas haben führen lassen, merken jetzt, der heilige Franz hat entgegengesetzte Anschauungen, dann dürfen wir bald dem einen, bald dem anderen folgen. Ich meine das vorausschicken zu dürfen, damit wir die innere Ruhe bewahren, wenn wir Behauptungen hören, die mit den bisherigen landläufigen in Widerspruch stehen.

Die Art, wie wir aber in diesem Jahr das Gebäude unserer Exerzitien aufrichten, mag sich von der bisherigen Art unterscheiden. Sie hören ja heraus: Rein logisch betrachtet müßten wir eigentlich anfangen mit der Quelle der Freude, mit der Liebe. Wir wählen aber absichtlich den psychologischen Weg. Wir wollen erst die Frucht der Liebe genießen, die vollkomene Freude. Wir erwarten, daß von diesem Genuß der Freude in unserer Seele eine starke Sehnsucht entstehen wird, auch die Quelle, die Wurzel dieses Baumes, dessen Frucht wir so gerne genießen möchten, zu erstreben.

Der wesentliche Unterschied zwischen den bisherigen und dem jetzigen Kurs mag aber darin bestehen, daß wir uns mehr anpassen wollen an die Art derer, die wenig erkenntnismäßig die Dinge durchdringen und erfassen wollen, die vor allem kraft ihrer inneren Struktur angewiesen sind auf erlebnismäßiges Innewerden. Ich möchte Ihnen deswegen die einzelnen großen Wirklichkeiten durchweg zunächst und tiefergreifend erlebnismäßig nahebringen, um nachträglich zusammenfassend auch das Ideenmäßige, das Verstandesmäßige, das Grundsätzliche herauszustellen. Sie brauchen aber nicht zu befürchten, daß das Grundsätzliche zu kurz kommt; schon deswegen nicht, weil wir es von hier aus als unsere Aufgabe betrachten, in der heutigen Zeit möglichst klare Ideen herauszustellen, die die kranken Ideen der heutigen Zeit innerlich überwinden können2.

So werden Sie verstehen, wenn wir übergehen zum ersten Teil unserer Exerzitien und uns bemühen, des Wesens der vollkommenen Freude zunächst erlebnismäßig innezuwerden. Haben wir das Erlebnis der Freude verkostet, dann wollen wir uns Rechenschaft geben über die Grundgesetze.

 

I. Erlebnis Der Freude

Wollen Sie bitte überlegen, wie das Erlebnis der Freude psychologisch zustande kommt - eine Frage, die uns auch während des Alltagslebens in der Seelsorge und in der Erziehung interessiert. Wie mag das Erlebnis der Freude zustande kommen? Eine ruhige Überprüfung wird uns zeigen: Wir müssen ein Doppeltes tun. Wir müssen erstlich in unserer Seele den Freudenhunger wecken und uns sodann bemühen, die hungrige, nach Freuden hungrige Seele in die Freudenatmosphäre hineinzutauchen, in eine Freudenatmosphäre, wie sie uns vor allem entgegenweht in der Heiligen Schrift, aus dem Leben der Heiligen und aus der Liturgie. Unsere erste Aufgabe wird darin bestehen, den Freudenhunger zu wecken.

a) Psychologische Durchdringung

Wie die beiden Momente innerlich psychologisch zusammenhängen, Freudenhunger und Hineintauchen in die Freudenatmosphäre, macht uns eine gesunde Psychologie und unser praktisches Leben überaus verständlich. Wenn ich ausgehungert bin und komme in ein Zimmer, wo mir Bratenduft entgegenweht, ist es da nicht selbswerständlich, daß ich heißhungrig danach greife? Psychologisch: Was ist der Sinn der Erziehung? Eine geistige Güterbewegung, eine geistige Freudenbewegung. Soll dies aber in der rechten Weise aufgenommen werden, setzt das eine entsprechende Interessenperspektive oder eine entsprechende Wertempfänglichkeit voraus. Beides muß geschaffen werden: die entsprechende Wertempfänglichkeit und die Freudenbewegung. Dafür haben wir den Ausdruck: Wir müssen den Freudenhunger wecken und die freudenhungrige Seele hineintauchen in die Freudenatmosphäre.

Meine Herren, Freudenhunger wird in uns dadurch geweckt, daß wir uns in der rechten Weise davon überzeugen, daß der Freudentrieb, der Glückstrieb ein Urtrieb in der menschlichen Natur ist. Damit haben Sie eine ganz schwerwiegende Behauptung vor sich. Wir wollen sie stärker nähren, uns davon überzeugen, so klar und tief, daß wir eine feste Unterlage haben, von der aus wir das spätere Leben systematisch formen und gestalten können. Setzen Sie einmal voraus - was ich nachher beweisen muß -, daß Freude wirklich ein Urtrieb in der menschlichen Natur ist. Wissen Sie, was das bedeutet? Darf ich dafür sagen, das Recht auf Freude ist ein unveräußerliches Menschenrecht? Ist das nicht dasselbe? Freudentrieb ist ein Urtrieb, deswegen Recht auf Freude ein unveräußerliches Menschenrecht. Wissen Sie, was das heißt in Anwendung auf das praktische Leben? Wer nicht zur Freude erzieht, sich und andere, der sorgt für die Verwilderung, für das Brechen seiner Natur. Die menschliche Natur kann auf die Dauer einfach nicht existieren ohne entsprechende Freude.

Es ist also wohl verkehrt und irrig, wenn da und dort die Behauptung auftaucht, Freude sei weiter nichts als ein Trunk aus einer Sektflasche, den sich nur ganz wenige Sterbliche verschaffen können. Das ist nicht wahr! Wer die menschliche Natur sein eigen nennt, hat ein unveräußerliches Recht auf Freude. Und der Freudentrieb muß deswegen in irgendeiner Weise - wie, das werden wir später sehen - befriedigt werden, sonst muß die Natur krank werden, mag ein überaus unheilbarer Bruch entstehen.

Unrecht haben auch die, die sagen, Freude sei eine Kinderei: irgend etwas für Kinder, Mädchen und Frauen, aber nicht für kraftvolle Männergestalten. Der Mann habe seine Pflicht zu tun, das andere sei Nebensache. Das ist verkehrt! Der Mann hat auch die menschliche Natur, und auch mit der Mannesnatur ist der Trieb nach Freude unzertrennlich verbunden, und deswegen hat auch er ein Anrecht auf Freude.

Doppelt und dreifach irrig reden und handeln die, die im Namen der Religion meinen, eine Religion, zumal die Religion Christi, dürfe nicht froh stimmen und in Freude ausarten. Wie verkehrt sind doch derartige Auffassungen, schon wegen des Satzes: Gratia naturam non destruit, sed elevat3! Auch wenn wir in die Welt des Religiösen eingebaut sind, in dieser Gnadenwelt zu Hause sind, verzichten wir auf kein gesundes Naturrecht. So hat auch der heilige Franz von Sales recht, und mit ihm alle anderen, die mit ihm sprechen: Ein heiliger Trauriger - ein trauriger Heiliger4! Das will heißen: Ein Heiliger, der traurig ist, ist das Zerrbild eines Heiligen, weil er in seiner Natur nicht den Sinn erfüllt hat, nicht geradegebogen hat, was nach Gottes Absicht unbedingt geradegebogen werden muß.

Wenn die Freude ein Urtrieb in der menschlichen Natur ist, so folgt daraus eine zweite Konsequenz: die Überzeugung, daß die Freude in einzigartiger Weise eine Teilnahme sein muß an der göttlichen Freude. Urtriebe, gesunde gottgewollte Urtriebe müssen in ganz tiefer Weise auch in Gott eine Heimat haben. Wollen Sie sich auch daran erinnern, daß der große Gott ein Gott der Freude ist, daß zum Wesen Gottes die Freude gehört! Der tiefere philosophische Grund: Freude ist die Ruhe des Strebevermögens im Besitz eines Gutes. Besitzt nun der Wille Gottes nicht das höchste Gut ständig, ewig, unveräußerlich, dauernd und sicher und gesichert? Gott besitzt sich selbst als das höchste Gut. Deswegen muß Gott ein Gott der Freude sein, und wer Gott liebt, wer in Gott zu Hause ist, wer teilnimmt am göttlichen Leben, muß auch teilnehmen an der göttlichen Freude. Deswegen haben wir auch im letzten Jahr den Ausdruck geprägt: das Stehen in göttlicher Freude. Hier mag auch das bekannte Wort anklingen: Freude, schöner Götterfunken...5 Wahre Freude muß deswegen Teilnahme sein an der göttlichen Freude, wie das wahre Leben eine Teilnahme am göttlichen Leben ist. Es wird nun unsere Aufgabe darin bestehen, in wirksamer Weise nachzuweisen, daß die Freude tatsächlich ein Urtrieb der menschlichen Natur ist.

Als Philosophen wissen wir, daß es überaus schwer ist, Urtriebe nachzuweisen; die werden einfach als selbstverständlich vorausgesetzt. Ähnlich schwer ist es ja, erste Prinzipien nachzuweisen. Und doch müssen wir den Versuch wagen und machen, in wirksamer Weise wagen, das heißt in einer derartigen Weise, daß auch gleichzeitig in unserer Seele fast fühlbar der Freudenhunger geweckt wird. Darf ich Ihnen einen Weg vorschlagen, der leicht gangbar ist und zum Ziel führt?

Meine Herren, überlegen Sie mit mir: Wenn ich Ihnen nachweisen kann, daß der Segen der Freude und der Unsegen, der Fluch der Traurigkeit ein ungeheuer großer ist, setzt das nicht voraus, daß der Trieb, um den es sich hier dreht, wirklich ein tiefgreifender Urtrieb der menschlichen Natur ist? Es handelt sich hier um hohe Ausmaße. Ich sage nicht: Der Segen der Freude ist ein großer, nein, ein außerordentlich großer. Ich sage umgekehrt: Der Fluch der Traurigkeit, des nicht sinnerfüllten Freudentriebes, ist ein außerordentlich großer! Natürlich wird die Psychologie und die Philosophie verlangen, daß beide Momente als organische Einheit gesehen werden. Wenn das nicht (der Fall) ist, mag der Beweis nicht schlagend sein. Es sind zwei Momente tiefer zu erwägen: erstens die Tatsache, zweitens die Auswirkung, um für das praktische Alltagsleben einzelne Momente herausheben zu können.

Tatsache? Welche Tatsache? Daß die Freude wirklich ein Urtrieb ist. Und wie beweise ich das? Indem ich den unermeßlichen Segensstrom und die unermeßliche Fluchwelle hüben und drüben gegenüberstelle.

Damit ich aber die Gedankengänge lückenlos und reibungslos aneinanderreihen kann, darf ich Sie bitten, erst nach Art einer Vorfrage zu überlegen, aber nur flüchtig: Was mag das Wesen der vollkommenen priesterlichen Lebensfreude ausmachen? Wir ahnen es schon. Die vollkommene Freude ist die geistliche Freude. Nicht geistig sondern geistlich. Ich muß aber gleich ein zweites Wort beifügen: die organisch gesehene, nicht die mechanisch gesehene geistliche Freude. Die organisch geistliche Freude will also die geistliche Freude organisch verknüpft sehen mit der geistigen und mit der sinnlich gefühlsmäßigen Freude - das ist die organisch geistliche Freude. Oder klarer: Ich muß, wenn ich an die Freude denke, einen doppelten Gesichtspunkt herausheben: ratione obiecti und ratione subiecti.

Ratione obiecti: ich sehe die Freude und das unmittelbare Objekt. Der Gegenstand sind die geistlichen Güter: der dreifaltige Gott, die Gnade, die Seligkeit et cetera. Ich darf aber diese Güter nicht mechanisch, getrennt von den anderen sehen. Ich kenne ja eine Hierarchie der Werte. Und wir, die wir so starke Anhänger der Organismuslehre sind, wir sehen immer klarer: Wenn das eine Gut hervorgehoben wird, will auch das zweite und dritte mitgesehen werden. Und deswegen: Was in gottgewollter Weise Freudenquelle sein kann (bonum honestum) - geistige und sinnliche Güter -, das kann und soll auch Gegenstand der vollkommenen Freude sein.

Ratione subiecti. Wo ist der Träger der Freude? Das mag zunächst der Organismus der eingegossenen Tugenden sein, in diesem Falle die eingegossene Liebe. Eingegossene Liebe ist aber organisch verknüpft mit dem geistigen Liebestrieb, dieser ist normalerweise verknüpft mit dem appetitus sensitivus. Organische Liebe will also ratione subjecti alle diese drei Träger organisch als eine Einheit sehen.

Meine Herren, ich darf jetzt den Punkt herausheben, auf den es mir ankommt, den Punkt, auf den es uns ankommt, wenn wir uns immunisieren wollen gegen die Zeitirrtümer, wenn wir einen Idealstaat schaffen wollen, in dem alle gesunden Momente der heutigen Zeit mitklingen und weitergetragen werden6: Jede organisch geistliche Freude schließt den appetitus sensitivus, schließt die herzliche Liebe, die Freude, die gefühlsmäßige Liebe in sich; nicht nur Freude des Willens, sondern auch des Herzens, gefühlsmäßige Freude! Meine Herren, wenn Sie das recht verstehen wollen, müssen Sie hier etwas länger stehenbleiben.

Es ist wahr, was die alte Scholastik, die alte Philosophie und Theologie, uns sagen, daß wir im Kern zwei Fähigkeiten der menschlichen Seele zu unterscheiden haben: Verstand und Wille. Es ist wahr, die Sittlichkeit einer Handlung hängt im wesentlichen davon ab, wie der Wille sich gibt; unser Gefühl will bloß als Begleiterscheinung der Willenstätigkeit gefaßt werden. Das ist wahr und recht. Und gerecht ist die Folgerung aus dieser Tatsache: daß die Sittlichkeit eines Aktes, der Wert eines Aktes im wesentlichen bestimmt wird durch den Willensakt, durch das Gebundensein des Willens. So ist es wohl gut denkbar, daß eine Liebe außerordentlich groß und tiefgreifend sein kann, selbst dann, wenn das Gefühl oder das Gemüt ganz entgegengesetzte Richtungen gehen. Ein Beispiel sind die Depressionszustände. Es ist also konkret gesagt, die Sinnerfüllung, das innerliche Gesättigtsein des Empfindungslebens durchaus kein sicheres Kennzeichen für den Hochgrad der Liebe. Noch einmal: Bei Depressionszuständen, wo alles in mir wie gelähmt ist, kann ich nicht sagen: wenn ich Willensakte, Akte der Liebe setze, sind sie nicht tiefgreifend, hochgradig. Im Gegenteil, ich werde sagen müssen, Akte der Gottesliebe, gesetzt in der Art, in der alles in mir nach unten drängt, mögen überaus hochgradig sein! Das alles müssen wir zugeben. Das ist die Lehre, die wir immer festhalten, die wir von unseren Schulbänken mit in das Leben genommen haben.

Ob Sie es mir aber übelnehmen, wenn ich Ihnen einige falsche Konsequenzen zeige? Sind wir nicht zu sehr daran gewöhnt, zu erklären: also ist das Gefühl überflüssig? Also auch in unserem Gebet, also auch in unseren stereotypen Gebeten: Es wird nur hingewiesen auf die Akte des Willens und daß wir in der Erziehung die Aufgabe haben, den Kindern viele einzelne Gebete beizubringen und damit auch die Beweggründe für den Willen. Was übersehen wir? Die organische Einheit der physischen und der psychischen Natur, der physisch-psychischen Natur. Wir übersehen, daß normalerweise - hören Sie, was ich sagen will! -, daß normalerweise ein tiefgehender Willensakt eine Resonanz finden muß im Empfindungsleben, im Gemüts- und Gefühlsleben. Das übersehen wir. Und wissen Sie, was das bedeutet? Eine gar tiefgehende und tiefgreifende Vernachlässigung unseres Gemüts- und Gefühlslebens.

Darf ich Sie daran erinnern, was das bedeutet im Kampf gegen heutige geistige Strömungen? Sie müssen jetzt den ganzen organischen Zusammenhang des Menschen sehen. Wenn das wahr ist - was ich gleich beweisen darf -, daß die Freude ein Urtrieb in der menschlichen Natur ist, dann dürfen Sie sicher sein: wenn dieser Freudentrieb nicht in der organischen Ganzheit befriedigt wird, dann sucht er naturnotwendig Ersatzbefriedigung. Wissen Sie, was das heißt? Wenn ich nicht auch in meinem Empfindungsleben innerlich normalerweise gesättigt werde, natürlich maßvoll, und immer ringe und strebe nach der Christusgestaltung des eigenen und des fremden Lebens, dann hält die Seele das nicht aus, zumal die Volksseele nicht. Da haben wir den ganz starken Zuwiespalt. Auf der einen Seite: Durch die Religion soll der Wille an Gott und Göttliches gebunden werden, aber der elementare Trieb des Menschen, das Empfindungsleben des Volkes wird nicht gesättigt. Und dann kommt der Zwiespalt: Gott bekommt den Willen und die Welt das Empfindungsleben. Wir müßten nicht älter geworden sein und uns und das Leben nicht kennen, um nicht zu wissen, wer diese Schlacht gewinnt: für gewöhnlich die Welt und ihre Freuden!

Ich mag nicht im einzelnen die Psychologie auf der Gegenseite zeigen. Wenn das so bleibt, daß man die Naturfreuden, die empfindungsmäßigen Freuden etwa nur drüben sucht und hüben bei uns nur die willensmäßigen Freuden, dann haben wir, menschlich gesprochen, mit der Zeit eine Kirche ohne Volk. Das Volk läuft da hin, wo ihm instinktiv gemütsmäßig und erlebnismäßig erfaßbare Freuden geboten werden. Wollen Sie überlegen, was ich Ihnen sagen will? Wir müssen wieder nach Hause gehen mit klarer Schau der Aufgaben, die wir lösen müssen, und der Wege, die wir zu beschreiten haben. Wir wollen ja nicht Sandhügel aufrichten gegenüber den modernen geistigen Strömungen. Wir müssen eine Oase schaffen! Deswegen geistig die Häresien der kommenden Zeit überwinden und uns darauf einstellen! Ich bereite nur vor, was ich Ihnen später ausführlich zeigen darf. Darum tun Sie gut, es einmal heute ein wenig tiefer zu durchdenken.

Ein zweiter Nachteil: Wo nicht wirklich tiefergehend und normal gesehen Freude am Ruder ist, fehlt die Elastizität, die Schwung- und Tatkraft. Sehen wir das heute nicht vielerorts? Wenn größere Schwierigkeiten uns entgegentreten und Schsung- und Tatkraft fehlen, ist Schluß. Woher kommt das? Du sollst Gott lieben aus deinem ganzen Herzen7 et cetera. Wenn ich nicht an Gott hänge mit dem ganzen Herzen, werde ich auch nicht die nötige Kraft haben. Sie dürfen nicht mit einigen Adlern rechnen, die von Gott besonders begnadet sind; Sie müssen die normalen Menschen und Wege sehen. Das mag der Fehler sein, daß wir zu wenig das Volk und volkspsychologisch gesehen haben. Und wollen wir unserem Volk wieder Schwungkraft geben und die Fähigkeit für die schwersten Opfer für Gott und das Göttliche, dann müssen wir dafür sorgen, daß auch das Gemüt an Gott hängt. Das aber nicht nur im katechetischen Unterricht beibringen: Aus dem und dem Beweggrund tut es mir leid et cetera, vielmehr Gewicht darauf legen, daß bei der Erziehung mehr das Gemüt für Gott und das Göttliche erfaßt wird!

Ein dritter großer Nachteil: Wo nicht auch das Gemüt an Gott und Göttliches gebunden ist, fehlt dem Menschen eine sittliche Vollkommenheit und Vollendung. Ich weiß, was man vielleicht sagen könnte. Es wird später noch stärker hervortreten, wie ernst wir uns bemühen müssen, auch die Natur des Menschen umzuformen. Das ist heute ein wesentliches Moment in der gesunden Immunisierung gegen die geistigen Zeitströmungen: Nicht nur durchgöttlichte Menschen schaffen, sondern auch durchsittlichte! Das Menschsein muß durch die Religion ein vollkommenes werden! Dem Menschen müssen die Giftzähne gebrochen werden.

Man mag dafür sagen »religiöser Humanismus«, dann möchte ich mich dazu bekennen. Heute ringt ja alles um die Renaissance der Natur. Wenn wir uns nicht auch darum bemühen, das nicht nur zu zeigen, sondern auch lebendig darzustellen durch die Erziehung, dann können wir den Idealstaat nicht schaffen. Woher kommt denn sonst das Wort: »Fromme Menschen sollen mir gestohlen werden, religiöse sind mir lieber«? Was sieht man da richtig, und was fehlt da? Das Gesunde, Warme seines ganzen Wesens; es ist etwas Gekünsteltes, es ist ein Zerbrochensein der menschlichen Natur. Die menschliche Natur muß aber auch in sich vollkommen werden. Nennen Sie das dann, wenn Sie wollen, religiösen Humanismus. Das ist dann weiter nichts als eine klare Anwendung des großen Gesetzes: Gratia non destruit naturam, sed elevat. Den heutigen Menschen, besonders unsere Jugend, können wir nicht immer auf der Stelle marschieren lassen. Das halten sie nicht aus. Wenn wir nur abwarten, was man uns noch läßt, dann ist das verfehlt; nein, vorwärtsstürmen müssen wir, Aufgaben sehen, uns und andere (darin unter-)weisen, geistig die Häresien der heutigen Zeit zu überwinden! Das müssen wir klar vor Augen haben, wenn wir von der Renaissance der Natur sprechen. Ich darf Sie nochmals daran erinnern, wie stark das Gewicht ist, das ich in dem Zusammenhang auf die gefühlsmäßige Freude legen möchte.

Damit Sie aber nicht extreme Auffassungen in sich aufkommen lassen, muß ich gleich beifügen: Freude kann doppelt sein: Werktags- und Sonntagsfreude. Die Sonntagsfreude ist tiefgreifende Ersättigung des Gefühlslebens, tiefgreifende Ruhe in Gott, gemütsmäßige Ruhe in Gott. Und die Werktagsfreude ist das ruhige und das beruhigte Bewußtsein, im Wunsch Gottes, im Willen Gottes zu ruhen. Werktagsfreude mag deswegen gleichbedeutend gesehen werden mit der Ergebung, mit einer tiefergehenden Ergebung in den göttlichen Willen; und damit ist in der Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen auch eine tiefergehende Ruhe des Gemütslebens gegeben. - Ja, sicherlich gibt es auch Depressionszustände, und da mag dann gefühlsmäßige Ruhe im göttlichen Willen nicht berücksichtigt werden. Das soll aber Ausnahme sein. - So verstehen wir in etwa, was wir zu fassen haben in dem Ausdruck Sonntags- und Werktagsfreude.

Nun kann ich sehr schnell und lückenlos meine Behauptungen gegenüberstellen und beweisen. Ich stelle Segen und Fluch, Segensquellen und -wellen (und Fluchquellen und -wellen) gegenüber.

Wahre Freude, tiefgehende Freude als Segensstrom löst meine Seele in außerordentlich tiefgreifender Weise von der weltlichen, von der sinnlichen, von der sündbaften Freude. Hier müssen Sie natürlich die hohen Ausmaße heraushören. Also wirklich tiefgehende Freude löst in außerordentlich starker Weise meine Seele von den sündhaften, von den weltlichen Freuden. Aber Sie lassen sich auch erinnern: Das ist nur in dem Ausmaße so - besonders für gewöhnlich -, als die vollkommene Freude eine gewisse Resonanz im Sinne der Sonntags- und Werktagsfreude im Gemütsleben findet. Verstehen Sie, was ich hier gesagt habe, wenn ich Ihnen die eine Seite zeigte?

Der Fluch, der ausgeht von der Traurigkeit, von dem nichtbefriedigten Freudentrieb - der mag so bezeichnet werden: ein außerordentlich starkes Streben in meiner Natur nach Ersatzfreuden, nach Ersatzbefriedigung, zumeist in der Sinnlichkeit, in der niedersten Sinnlichkeit. Ich darf Sie bitten, hier für sich länger stehenzubleiben. Viele Rätsel des eigenen Lebens werden dadurch gelöst, auch viele Situationen in der Seelsorge bekommen eine neue Beleuchtung. Ich will Ihnen, kurz zusammenfassend, stark disponierte Gedanken vortragen. Ich zeige es in historischer, psychologischer, philosophischer und pädagogischer Beleuchtung.

In historischer Beleuchtung8. Wir mögen zurückgreifen all die Jahrhunderte, hinein in das alte Mönchtum. Nachweisbar haben uns die Mönche des 4. Jahrhunderts schon klar die Folgen der Traurigkeit herausgestellt. Sie sagten: Wer traurig ist, ist vom Teufel besessen. Und darum hat man auch die traurigen Mönche mit ganz schweren Bußen bestraft. Deswegen sehen wir auch, wie die Auffassung der Mönche aus dem Morgenland durch Cassian in das Abendland kam. Man hat die Traurigkeit hier aufgefaßt als und gezählt zu den Grundübeln, zu den Hauptsünden, die die Quelle einer ganzen Menge anderer Sünden sind. Die Auffassung hat dann im Laufe der Jahrhunderte geschwankt; denn als man begonnen hatte, die Hauptsünden zusammenzustellen, stellte man nicht sieben Hauptsünden auf, sondern acht. Später hat der heilige Gregor wegen seiner Vorliebe für die Siebenzahl Trägheit und Traurigkeit identifiziert, die Trägheit beiseite geschoben und die Traurigkeit dafür eingesetzt. Wir wissen auch, wie in den mittelalterlichen Bußübungen die Kirchenstrafe für Traurigkeit und Trägheit die gleiche war. Der heilige Thomas hat auch dasselbe Schema, die Siebenzahl, hat aber die Traurigkeit gestrichen und wiederum die Trägheit dafür eingesetzt. Somit kennen wir am geläufigsten den Kodex der sieben Hauptsünden, der sieben Hauptquellen, und darunter rechnen wir nicht die Traurigkeit, sondern die Trägheit. Die formelle Umschaltung hat zunächst nichts zu sagen. Es ist einerlei, ob eine Sünde namhaft gemacht wird oder nicht. Aber betrüblich mag es gewesen sein, daß durch diese Wandlung im katholischen Bewußtsein die Erkenntnis verlorengegangen ist, von welch niederziehender Bedeutung, von welcher Wirksamkeit die Traurigkeit ist. Oder geht es uns nipht heute auch so? Sind wir wirklich überzeugt, daß die Traurigkeit - lassen Sie es mich einmal schroff ausdrücken - ein Hauptlaster, die Quelle vieler anderer Laster ist? Dann hätten wir uns schon bemüht, diese Quelle zu verstopfen, bei uns und bei anderen.

Und die psychologische Beleuchtung. Sie mögen hier stehenbleiben bei der eigenen Lebenserfahrung und -beobachtung. Hinweisen darf ich auch auf die Erfahrung großer Meister des geistlichen Lebens. Wir berufen uns auf die eigene Erfahrung, auf die Erfahrung am eigenen Leib. Meine Herren, wollen Sie mir gestatten, die Dinge zu sagen, wie sie liegen? Wer von uns weiß nicht aus Erfahrung: Wenn ich lahm, wenn ich müde bin, in Depressionszuständen oder depressionsartigen Zuständen mich befinde, was dann? Werden nicht im gesamten Leben meiner Seele alle schwachen Stellen auf einmal lebendig, brechen nicht kranke Stellen urgewaltig auf? Schon als wir jünger waren, samstags und sonntags alles zu leisten hatten: war es damals nicht vielfach so, daß wir von sexuellen Nöten und Schwierigkeiten stärker gepeitscht wurden als zu anderen Zeiten? Wenn die Seele nicht in irgendeiner Weise in Freuden hineingetaucht ist, in organisch geistiger Weise, sucht sie instinktiv Ersatzbefriedigung. Sie mögen hierzu ja oder nein sagen, das Leben redet aber eine deutliche Sprache.

Was für das Individuum gilt, gilt auch für die Gemeinschaft. Ich darf hier nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit sagen: entweder Sumpfatmosphäre oder Freudenatmosphäre. Das gilt für die Person: In mir herrscht entweder Freude oder Sumpfatmosphäre. Das gilt auch für eine Gemeinschaft, einen Verband, einen Verein: entweder Freuden- oder Sumpfatmosphäre! Sehen Sie, das ist so wahr, daß Keppler in seinem Buch »Mehr Freude« darauf hinweist: Wenn in einer Anstalt die Freude nicht als Dauerzustand ist, ist es höchste Zeit, daß sie geschlossen wird9. Der Grund? Die Gesetzmäßigkeit: Freuden- oder Sumpfatmosphäre.

Prüfen Sie auch: Das gilt auch für mein persönliches Leben und Streben. Was will das heißen? Ich habe vielleicht mit schweren Versuchungen zu kämpfen, so vieles drängt mich. Was soll ich tun? Soll ich zu lange liegenbleiben in diesem Druckzustand? Zum Beispiel die Sinnlichkeit peitscht mich. Was wird die Folge sein? Druckgefühl. Soll ich hängenbleiben? Nein! Lähmende Affekte ziehen nach unten, freudige Affekte beschwingen. Deswegen auch in diesem Zustand, wo ich schwer zu ringen habe mit einer Gewohnheit, jeden kleinen Erfolg freudig begrüßen, sich herzlich darüber freuen! Solche Dinge zum Gegenstand des PE10 machen!

Das gilt auch für den Beichtstuhl. Alle Momente mit hineinbeziehen! Vergessen Sie nicht das psychologische Gesetz: Traurige Affekte lähmen, freudige beschwingen. Deswegen dürfen wir traurige Affekte nicht lange festhalten. Eine gesunde Seele mag das tun. Aber wenn meine Seele krank ist und nicht einigermaßen in Gott gesättigt ist, muß ich mich bemühen, daß die traurigen Affekte übervunden werden. Das gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Masse des Volkes. Ich darf nicht zu leicht eine Todsünde zulassen und annehmen, wo es keine ist. Nicht sagen: Ich beichte, und dann ist es in Ordnung. Weshalb denn so schnell Todsünden zugeben, wo keine sind? Muß ich es auch noch sagen, weshalb? Um nicht immer das lähmende Gefühl zu haben: Bruch mit Gott. Wir müssen die freudigen Affekte mit Gott viel mehr betonen, damit wir uns seelisch sichern gegen das Abgleiten in die sinnliche, sexuelle Ersatzbefriedigung. Das gilt auch für das Volk. Es muß Freude haben. Hat es sie nicht in Gott, sucht es sie in der Welt, in gottwidrigen Dingen. Entweder tiefergehende, umfassende Freudenerziehung hin zum Ringen nach Freude in Gott, oder Schleifenlassen der Zügel und Hinabgleiten des Individuums und der Gemeinschaft in die schmutzigen Quellen der Ersatzbefriedigung.

 

Wenn Sie diese Wahrheiten in sich vertiefen wollen, so mögen Sie Anleihe machen bei führenden Aszeten, mögen hineingreifen, wohin Sie wollen. Zum Beispiel Philothea. Was sagt der heilige Franz von Sales hier von der Traurigkeit und den Töchtern der Traurigkeit? Denn so hat man zu seiner Zeit die Wirkungen der Traurigkeit genannt. Es ist der 4. Teil, das 12. Kapitel11. Lesen Sie es bitte! Ich glaube, wir könnten auch heute vom Standpunkt der Psychologie12 nichts Besseres sagen, als was wir hier finden.

Die philosophische Beleuchtung. Weshalb muß das so sein? Ja, wenn wir die Überzeugung mit nach Hause nehmen, daß der Freudentrieb ein Urtrieb ist und daß es sich, wenn er nicht befriedigt wird, rächen muß, weil alles hindrängt nach unten, dann ist es gut.

Vom Standpunkt der Pädagogik sage ich deswegen: Erziehe dich und andere zur Freude! Wollen wir die Menschen aus dem Sumpf der wenigen Erdenfreuden nach oben ziehen, dann müssen wir uns und andere erziehen zur rechten und echten gottgewollten Freude. Es ist ja in der letzten Zeit so viel von Don Bosco geschrieben worden, und es wird überall hervorgehoben, daß er der Pädagoge der Freude war, durch Freude und zur Freude erzog, und daß das zum großen Teil das Geheimnis seines Erfolges gewesen ist. Da haben wir Segen und Fluch, eine Welle und Quelle.

Nehmen wir eine zweite Segenswelle und -quelle und -woge. Wir haben sie bereits angedeutet. Wenn ich mich zur wahren Freude, zur vollkommenen christlichen Freude erziehe, dann steckt eine außerordentlich starke Tatkraft und Schwungkraft13 in mir, hin zur Christusgestaltung des eigenen und fremden Lebens. Ich spreche nicht von der Tatkraft allein, sondern auch von der Schwungkraft. Hier müssen Sie jedes Wort wägen. Der Mensch ist erst ganz gesichert, wenn Tatkraft und Schwungkraft ineinander und miteinander verknüpft sind. Muß ich Ihnen zeigen, wie mit der echten und rechten Freude die tiefgreifende Tatkraft und Schwungkraft in der Seelsorge verknüpft sind, so wählen Sie wieder dieselbe Disposition.

Vom historischen Standpunkt. Befragen Sie das Leben der Heiligen! Woher haben sie die elementare Tat- und Schwungkraft um das eigene und fremde Seelenleben? Aus der gesunden Pflege der Freude.

Vom psychologischen Standpunkt. Muß ich nochmals hervorheben: Traurige Affekte lähmen, freudige Affekte beschwingen die Tatkraft und reißen das Herz mit? So kennen wir in der Heiligen Schrift das Wort: Viam mandatorum tuorum cucurri, quia dilatasti cor meum - Ich bin den Weg deiner Gebote gelaufen, da du mir das Herz weit gemacht hast (Ps 119 , 32), meine Seele mit großer Freude erfüllt hast. Und wissen wir es nicht aus der Seelenführung der eigenen und fremden Seelen, wie wirkliche Freude das Triebrad der Seele ist? Wie sehr müssen wir da uns und andere zurückhalten, damit wir nicht zu schnell vorwärts eilen!

Und der philosophische Grund? Wollen wir uns erinnern, was uns schon der alte Plato gesagt hat im Bild von den zwei Rossen: Wenn am Wagen zwei Rosse sind, die Leidenschaften - kein großer Mensch ohne große Leidenschaften! -, dann läuft der Wagen. Tiefergehende Leidenschaften in gesundem Sinn, was schließt das in sich? Freude, die Resonanz des Empfindungslebens. Und wenn diese Rosse die Freude sind, dann wird der Wagen schnell über alles hinweggezogen; sind es aber dürre Klepper: mit welcher Müdigkeit und Mattigkeit wird die Seele da auch den gewöhnlichen Weg zurücklegen!

Sehen Sie den entgegengesetzten Weg: Der Segen wird in Fluch verkehrt, wo statt Freude die Traurigkeit das Ruder führt; der Leistungswille und der Erfolgswille werden sich instinktiv auf andere Gebiete übertragen lassen. Es ist eine sehr tiefgreifende Behauptung, die ich hier flüchtig hinwerfe. Auch wieder dieselbe Disposition: historische, psychologische, philosophische und pädagogische Beleuchtung.

Historisch: Sehen Sie da einmal die ernsten, schwermütigen Systeme, wie wir sie im Kalvinismus und im Puritanismus vor uns haben! Historisch läßt sich nachweisen, wie diese herben Systeme in tiefgreifender Weise den Boden vorbereitet haben für den Kapitalismus und alle übrigen Begleiterscheinungen14. Wissen Sie, weshalb? Wo die Seele in religiös-sittlichen Dingen sich der Schwermut hingibt, wo der Leistungs- und Erfolgswille sich in der eigenen und der fremden Seele nicht in der rechten Weise befriedigen lassen, da sucht der Leistungshunger ein anderes Gebiet. Was sieht der Kalvinismus und der Puritanismus denn als höchste Tugend an? Was stellt er heraus? Leistung, Betriebsamkeit in der Geschäftstüchtigkeit. Geschäftstüchtigkeit: Es ist nichts zu erwarten in der Umformung des eigenen Lebens und im Charakter des andern; aber der Mensch hat den Leistungswillen in sich, und deswegen sucht er dann Leistungen auf einem anderen Gebiet.

Meine Herren, damit stehen wir vor der psychologischen Beleuchtung. Wir denken an uns selbst: Woher kommt vielfach unsere Betriebsamkeit? Warum gehen unsere Leistungen alle nach außen? Nicht zum großen Teil daher, weil wir wissen und auch in der Ansicht gefördert wurden, Leistungen in der Umformung des eigenen Charakters, in der Umformung der fremden Seelen sind nicht wesentlich zu erwarten, deswegen Betriebsamkeit, Leistungen und immer wieder Leistungen auf anderen Gebieten? Wir sehen es bei den Puritanern, sehen es auch bei andern Menschenkindern, sehen da den Zusammenhang mit dem Kapitalismus: wie ernst Erfolge gesucht wurden aufgrund der Leistungen, später wollte man aber Erfolge - der Erfolgshunger war ja wirksam - ohne Leistungen. Sehen wir das nicht auch heute? Ist der Erfolg nicht Kriterium für das Rechte und Gesunde? Fühlen Sie nicht, wie wichtig es ist, daß wir uns heute nach der Richtung umstellen, ein klein wenig?

Muß nicht unser Leistungs- und Erfolgswille heute wieder rückfließend konzentriert15 werden auf die Durchgöttlichung und Durchsittlichung der eigenen und der fremden Seele? Wenn das wahr ist, was wir gestern abend gesagt haben: Wer heute mithelfen will, die Welt zu überwinden, muß ein durchgöttlichter und durchsittlicher Mensch sein; wenn ich aber dem Menschen die Freude an den Leistungen raube, die Forderungen zu hoch schraube, immer wieder nach unten zerre, dann wird mit der Zeit der tiefergehende Leistungswille des Menschen nach einer anderen Seite entgleisen, und ich darf sicher sagen, daß die Schwungkraft in der Charakterbildung der eigenen Seele und der fremden Menschen mehr und mehr erlahmen wird. Wissen Sie, was ich sagen will? Von welcher Bedeutung es ist, daß wir uns bemühen, Freude hineinzupflanzen in unsere Tätigkeit, daß wir zur Freude erziehen, wo wir nur Gelegenheit haben!

Wenn ich nun schnell die Konsequenzen ziehen darf aus diesem doppelten Segens- und Fluchstrom, so muß ich Ihnen sagen: Wo die Freude in tiefgreifender Weise gepflegt und anerzogen wird, da dürfen wir erwarten, die Gewähr für Qualitätsarbeiten und -leistungen zu haben. Ist es nicht so: Wo die Freude am Ruder ist, ist auch mit dem Arbeitswillen der Gedanke verbunden: Leisten wir Qualitätsarbeit! Sie wollen aber nachprüfen, wieweit die Erfahrung das bestätigt.

Wir dürfen auch sagen: Freude wird auch in der Medizin anerkannt als ein Gesundungsmittel16. Der Beweis: Wenn die Freude die Seele beschwingt, wird das Blut ruhiger und freudig dahinfließen, es ist kein starker Druck mehr auf der Seele, auf den Organen. Ja, man kann wohl sagen, es wäre der Mühe wert, die Erziehung zur Freude als Gesundungsfaktor auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Wissen wir das nicht aus eigener Erfahrung? Haben wir eine einzige große Freude, so ist unser Gesundheitszustand in ganz besonderer Weise gefördert.

Und endlich: Freudige Grundeinstellung ist der Schlüssel zum Herzen der Menschen. Ein solcher Mensch hat den Schlüssel zum Herzen der Menschen in der Tasche. Ein solcher Mensch ist die lebendige Wünschelrute, die die tiefe, geheimnisvolle Quelle in der Seele des Gegenüber entdeckt und fließen läßt. Er weckt nicht nur durch sein Sein, sondern auch durch sein Wort, durch seine Sprache, durch sein Handeln.

Aber Mangel an Freude: Der traurige Mensch - nur sehr schwer kann er Qualitätsarbeit leisten. Wie stark hemmt die Traurigkeit, wenn sie länger dauert, wie stark hemmt sie den Gesundungsprozeß! Und der traurige Mensch verliert auch den vorübergehenden Einfluß auf seine Mitmenschen.

Meine Herren, wollen Sie sich zur Illustration des Gesagten an ein paar Beispiele erinnern lassen. Von Pater Zucchi wird erzählt, er habe es als eine wesentliche Aufgabe seiner pastoralen Tätigkeit angesehen, die ihm Anvertrauten zur Freude zu erziehen. Eines Tages wurde er zu einer kranken Ordensschwester gerufen, um sie auf den Tod vorzubereiten. Die Schwester wurde aber wieder gesund. Nach Jahren kommt diese Schwester wieder auf das Sterbebett, und wiederum kommt derselbe Pater. Die Schwester erkennt ihn wieder und gesteht ihm: Hochwürden, was Sie mir vor Jahren gesagt haben, bedeutete eine ganz starke Wende in meinem Berufsleben, nämlich: All meine Freude im Herrn suchen! Und ich muß Ihnen sagen, eine Heilige mag ich nicht geworden sein, aber das Leben in und aus der Freude hat eine ganz starke Umwandlung hervorgebracht. - Ein junger Mann, Konvertit. Er steckt in allerlei Sünden. P. Zucchi hat ihm den Weg der Freude gewiesen, und er hat Großes erreicht17. - Seit einigen Jahren bin ich öfter in Süddeutschland. Der Direktor des dortigen Exerzitienhauses ist ein Original. Er erzählt immer dieselben Schnurren, das ganze Jahr hindurch. Nun hat er einen Brief von einer Dame erhalten: Hochwürden, was sind Sie so häßlich! Und der folgende Satz: Aber wenn sie lächeln, sind Sie ein bildschöner Mann! »Seit der Zeit«, sagt er, »lache ich immer und mache ein freudiges Gesicht; und immer ist es mir geglückt, damit auch Erfolg zu haben, nur der Oberin des Hauses gegenüber nicht.« - Die Erziehung zur Freude muß deswegen in der Gesamterziehung einen großen Platz einnehmen.

Prüfen Sie nach, ob der Beweis ein durchschlagender gewesen ist. Ist es wahr, daß die Freude, der Freudentrieb ein Urtrieb der menschlichen Natur ist? Sind hüben und drüben die Wirkungen, der Segen und der Fluch, außerordentlich tiefgreifend? Wenn Sie meinen Gedankengängen gefolgt sind und sich die Zeit nehmen, tiefer einzudringen, fällt es Ihnen nicht schwer, viele Mißerfolge, viele Krankheiten in der eigenen Natur und in der Seelsorge zurückzuführen auf den Mangel an Freude, an Freudenerziehung. Deswegen die Parole: Erziehe dich und andere mehr und mehr zur Freude!


  1. In den Priesterexerzitien 1933 spricht P. Kentenich über die drei göttlichen Tugenden, entfaltet aber nur Glaube und Hoffnung. Offenbar wollte er zunächst im darauffolgenden Jahr nur über die »Begleiterscheinungen« »der göttlichen Kraft« (der Liebe) sprechen: Freude und Frieden (vgl. Lebensweisheit II, 2; III, 2). - Im vorletzten Vortrag des Kurses heißt es unter der Überschrift »Bewahre dich vor Gram!«: »Deshalb die Freude pflegen! Wie wichtig ist das heute! Vielleicht halte ich über die Freude einmal einen eigenen Kurs. Freude ist eine ganz große Leistung.« (V, 1).

  2. Entsprechend der metaphysischen Veranlagung des Gründers, die sich mit großer Lebensnähe verbindet, geht es in Schönstatt um das Zueinander von klarer Ideenschau und psychologischer Einfühlung im Sinne der Aufgabe, »Verbindungsoffizier zwischen Idee und Leben« zu sein.

  3. Gnade zerstört nicht Natur, sondern erhöht - ein Satz, der sich in seiner axiomatischen Bedeutung erstmals bei Thomas von Aquin findet (z. B. De veritate 27, 6, ad 3).

  4. Müller, 94; Keppler, 99.

  5. Friedrich Schiller, Lied an die Freude; Beethoven, IX. Sinfonie.

  6. Die Vorfrage nach der organisch gesehenen geistlichen Freude ist für P. Kentenich, den Gründer des »Idealstaates« Schönstatt, die Kernfrage, um deretwillen er z.B. seit I949 in die Auseinandersetzung mit der kirchlichen Hierarchie und in der Folge in eine 14jährige Verbannung gegangen ist. Vgl. die grundsätzlichen Ausführungen unter »Philosophie der Freude«, besonders S. 198 ff.

  7. Dtn 6,5; Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27.

  8. Zum Folgenden s. Müller, 84 ff.: Die religiös-sittliche Bedeutung einer frohen Gemütslage.

  9. Keppler, 114.

  10. PE = Partikularexamen (Besonderer Vorsatz).

  11. Philothea IV, 12 (Werke I, 227 ff.): Von der Traurigkeit. Vgl. Müller, 85 und 87.

  12. Müller, 91.

  13. Keppler, 3.

  14. Müller, 75 (dort auch Hinweis auf die psychologische Bedeutung).

  15. In der Vorlage: konstruiert.

  16. Keppler, 2 (dort Hinweis auf: Weber, Die Verhütung des Alterns, Mittel und Wege zur Verlängerung des Lebens, Leipzig 1905).

  17. Beide Beispiele von P. Zucchi SJ berichtet Paolo Segneri der Ältere SJ in seinem Werk »Il Cristiano istruito« (Sämtliche Werke Bd. 17, Regensburg [34. Rede], S. 294).