Vallendar 1989 (Limburg 1937), 282 S.

A-Eigenhändig, Diktat

Nr.: 1937\05wh09

1937, Mai (A)

Dr. M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit. Ein Beitrag zur religiösen Formung des Alltags

Vallendar 1989 (Limburg 1937), 282 S.

2. Kapitel: Von der Dinggebundenheit

Der Werktagsheilige sieht und sucht ein Stück Lebensaufgabe darin, seinen gewöhnlichen Alltag mit der Gottesliebe in Verbindung zu bringen und dadurch zu adeln und zu vervollkommnen. Der ganze Tag von morgens früh bis abends spät soll den Stempel der Liebe und der Vollendung an sich tragen. Dann erst glaubt er sein Ideal verwirklicht zu haben.

Das will auch Kardinal Newman sagen, wenn er schreibt: »Ein Mensch, der religiös ist, ist es am Morgen, am Mittag und zur Nachtzeit. Seine Religion ist ein Charakter, eine Form, die all sein Denken, Reden und Handeln innerlich durchseelt; und alles ist nur vom Ganzen her verständlich als ein Teil. Man sieht Gott in allem, alles mißt man an Gottes Willen.«

Sein Tagewerk besteht aber nicht nur aus Beten und Arbeiten, er ist auch ständig angewiesen auf eine ganze Menge alltäglicher Gebrauchsgegenstände wie Nahrung und Kleidung. Wir wollen diese und ähnliche Gegenstände einmal »Dinge« nennen und darunter alles verstehen, was wir bisher nicht eigens hervorgehoben haben und in der Folge nicht besonders namhaft machen werden: also alles, was nicht Gott, Arbeit, Leid und Mensch heißt.

Wer weiß, wie oft wir alle ohne Ausnahme tagtäglich mit solchen Dingen in Verbindung kommen, der ahnt, wieviel Gewicht der Werktagsheilige auf die gottgefällige Gestaltung dieser vielfachen Dinggebundenheit legt und legen muß. Er hat nicht eher Ruhe, bis sie ihm Antrieb und Ausdruck wird einer großen Gottesliebe, einer kraftvollen Lebensbemeisterung und einer männlich starken Weltbeherrschung.

Sein ganzes Alltagsleben soll ja ein einziges Gloria Patri, eine lebendige Verkörperung seines Lieblingsgebetes sein: Alles aus Liebe für die ewige Liebe und zu ihrer Verherrlichung! Darum bemüht er sich mit Erfolg um die prophetische, priesterliche und heroische Dinggebundenheit.

1. Die prophetische Dinggebundenheit

Der Werktagsheilige ist klar und bestimmt in seinem religiösen Wissen und praktisch und konsequent in dessen Gebrauch.

1. Er weiß, daß die Dinge dieser Welt nicht nur einen Eigenwert, sondern auch eine symbolische Bedeutung haben. Sie alle sind kleine Propheten Gottes, die im Auftrage Gottes die frohe Kunde von ihm, seinen Eigenschaften und Absichten bringen, um uns dadurch zu großer Gottesliebe zu entzünden. Darum nennt ja der hl. Augustinus sie »nutus Dei«, d.h. ein Grüßen oder Winken Gottes. Und der hl. Bonaventura spricht von einem »manutergium Dei«. Er will damit sagen: Gott nimmt uns durch dieDinge liebevoll an die Hand, zeigt uns überall seine Spuren und Wünsche und führt uns so in sein Vaterherz hinein. Wir kämen nicht leicht an ein Ende, wenn wir alle kleinen Propheten, die uns während des Tages begegnen, aufzählen wollten. Um uns etwas hellsichtiger und feinhöriger für Gottes Boten und Botschaft im eigenen Leben zu machen, lasse ich in buntem Wechsel einige Beispiele folgen:

Ich komme an einem blühenden Rosenstrauch vorbei. Er hat von Gott die Aufgabe, mir von seiner Liebe, seiner Schönheit zu künden. - Oder da ist klares Wasser. Soll es mich nicht mit prophetischer Stimme an Taufe und Reinigung der Seele erinnern? - Richtet uns nicht der singende Vogel dort in den Zweigen seinen Gruß vom himmlischen Vater aus, der ihn so fürsorglich kleidet und nährt? -

Eine Haushälterin erzählte mir einmal, daß sie abends beim Schuhputzen meist darüber nachdächte, wie Gott Tag für Tag in göttlicher Geduld uns reinigt von allem Schmutz und Staub, der sich tagsüber angesetzt hat, falls wir ihn reuig um Verzeihung bitten. - Ein früchteschwerer Baum, so erzählte sie weiter, lege ihr immer die Bitte in den Mund: »Hilf mir doch, daß ich am großen Erntetag nicht mit leeren Händen dastehe!« -

Die erwachende Natur weist den Werktagsheiligen auf die Auferstehung hin, das herbstliche Sterben mahnt an den Tod. - Der Kirschbaum im Blütenschmuck sagt ihm etwas von der Schönheit der Seele im Stande der heiligmachenden Gnade, und der scharfe Nordwind, der ihm bei nächtlicher Wanderung schneidend durch die Glieder fährt, hält ihm eine Predigt uber die eisige Kälte, die den Heiland oft in liebeleeren Seelen erwartet. -

Allüberall wo er geht und steht, sieht sich der Werktagsheilige von kleinen Propheten umgeben, die Gottes Worte in sein Ohr flüstern.

Ein Bauersmann dachte beim Umgraben der Erde immer an das Grab, das ihm einst geschaufelt würde. Sah er einen Wurm auf dem Wege, der sich in Schmerzen krümmte, so fiel ihm ein, daß es vom Heiland heißt: »Ein Wurm bin ich und kein Mensch ...« Jätete er Unkraut aus, dann bat er den Herrn, er möge ihn davor bewahren, einmal vom Weizen gesondert ins Feuer geworfen zu werden. Und bemerkte er am Strauch ein Spinngewebe, so mahnte ihn das an den Teufel, der unsere Seele umgarnen und einfangen will, um sich dann auf sie zu stürzen und sie ewig unglücklich zu machen. Dieser Bauersmann, der in allem die Verbindung mit Gott fand, ging einst hinter dem Pflug her und überlegte, ob auch der Dünger, der verstreut auf dem Boden lag und durch die Pflugschar mit der Erde vermischt wurde, ein Prophet sein könnte. »Dünger ist Zersetzung«, sagte er sich. »Was täten wir in der Landwirtschaft ohne diese Zersetzung! So betrachtet auch der liebe Gott meine Unvollkommenheiten und Fehler und Dummheiten als Dünger, damit die wahre Demut daraus hervorwachsen kann. Ohne Demut kann ich nicht heilig werden.« - Ist das nicht höchste Weisheit eines einfachen Mannes?

Ein heiligmäßiger Klosterbruder hatte außer den pflichtmäßigen Gebetsübungen nichts anderes zu tun, als am Küchenherd zu stehen und täglich für die große Kommunität zu kochen. Als man ihn fragte, wie er es nur fertig brächte, die Verbindung mit Gott zu bewahren und zu pflegen da er doch so wenig Gelegenheit habe, anregende Bücher zu lesen oder den Predigten beizuwohnen, wies er auf seinen Küchenherd hin und antwortete: »Da drinnen ist ein guter Prediger, dem höre ich Tag für Tag zu. Die rote Feuersglut spricht mir immerfort von der Liebe Gottes und hält mich an nie darin zu erkalten. Wenn die Flamme morgens beim Anzünden frisch auflodert, dann bitte ich den lieben Gott, immer in der ersten warmen Liebe bleiben zu dürfen. Läßt die Glut etwas nach, so lege ich neuen Brennstoff auf und spreche dabei kleine Stoßgebete der Sehnsucht nach den Gnaden, die für mich notwendig scheinen oder denke an die Strafen des Fegfeuers und der Hölle. Brennt das Feuer gleichmäßig heiß, dann lasse ich auch meine Seele still und warm glühen in Liebe zu Gott und den Seelen. Und abends, wenn es erlöschen will, predigt es mir vom eigenen Erlöschen von Tod und Vergehen.« Von dem Tage an verstanden seine Mitbrüder, warum er so heiligmäßig war, wandelte er doch immer in der Gegenwart Gottes und hörte auf seine Stimme, trotz schwerer, nie endender Küchenarbeit.

2. Der Werktagsheilige hört und versteht nicht nur meisterlich die zahlreichen Propheten Gottes, die ihm begegnen, er beantwortet ihre Botschaft auch durch herzliche Gegenliebe und ein vollkommenes Leben. Ihm kommt es ja darauf an, alle Handlungen und Regungen seines gewöhnlichen Lebens nach Möglichkeit zu einem einzigen großen Akt der Gottesliebe und des Gottesdienstes ausreifen zu lassen.

Der hl. Franz von Sales hat in seiner Philothea ein praktisches Handbuch geschrieben für Werktagsheiligkeit in der Welt.

Er geht dabei - wie wir - von dem Gedanken aus, den er einmal so umschreibt: »Nach Gottes Schöpfergeheiß soll jede Pflanze ‘Frucht bringen nach ihrer Art’. Wir sind gleichsam die Pflanzen im Gottesgarten der Kirche und sollen Früchte des frommen Lebens tragen, ein jeder nach seiner Art und seinem Stande. Die Frömmigkeit muß ein anderes Aussehen haben beim hochgeborenen Herrn als beim Handwerker, Arbeiter oder Knecht, ein anderes beim Mädchen als bei der Gattin und wieder ein anderes bei der Witwe. Ja, sie richtet sich in ihrer praktischen Anwendung nach den Kräften Aufgaben und Pflichten jedes einzelnen Menschen. Oder glaubt ihr, es wäre wohl für euren Bischof geziemend, wenn er als Einsiedler leben wollte wie ein Kartäuser? Oder wäre es für Eheleute passend, wenn sie nichts verdienen und sparen wollten wie die Kapuziner? Oder es stünde dem Arbeiter oder Handwerker, wenn er täglich stundenlang in der Kirche zubringen wollte wie die Klosterleute? Wäre eine solche Frömmigkeit nicht lächerlich unrecht, unausstehlich?

Und doch sind Fehler in dieser Hinsicht nicht selten. Und die Welt, die nicht unterscheidet oder nicht unterscheiden will zwischen Echtem und Unechtem, regt sich über die Frömmigkeit auf - die doch mit solchen Verzerrungen nichts zu tun hat.

Die Wahrheit ist, meine Philothea, daß echte Frömmigkeit nichts Gutes verdirbt, sondern alles verschönt und vollendet. Und wenn du einen Menschen siehst, der durch die Frömmigkeit in seinem gottgegebenen Beruf gehindert wird, so kannst du sicher sein, daß es eine falsche Frömmigkeit ist.

Je mehr aber ein Mensch aus Religion und Beruf eine Einheit zuwege bringt, um so liebenswürdiger ist er, und um so leichter und selbstverständlicher ist ihm die Sorge für seine Familie, um so herzlicher ist die Liebe zwischen Mann und Weib, um so treuer das Verhältnis zwischen Untergebenem und Höherem, kurz, um so freundlicher und schöner geht es in jedem Pflichtenkreis. Es ist ein Irrtum, um nicht zu sagen eine Ketzerei, eine Trennungslinie zu ziehen zwischen Frömmigkeit und Turnplatz, Frömmigkeit und Kaufladen, Frömmigkeit und Hof, Frömmigkeit und Haushaltung.«

Wer draußen lebt, kann den Geschöpfen, den Dingen nicht ausweichen. Auf Schritt und Tritt begegnet er ihnen. Er ist ihren Einflüssen stärker ausgesetzt als Ordensleute und soll sie selbst wiederum beeinflussen und gestalten. Darum ist prophetische Dinggebundenheit eine der wichtigsten Forderungen für den Werktagsheiligen in der Welt. Das weiß der hl. Franz von Sales. Deshalb legt er so viel Gewicht auf diese edle Kunst. Sorgfältig unterscheidet er dabei aber immer das Denken an Gott und das dadurch geweckte liebende Aufseufzen zu Gott.

»Man zieht sich in Gott zurück«, so schreibt er deswegen einmal, »um zu ihm aufzuseufzen, und man seufzt zu ihm auf, um sich in ihm zurückzuziehen. So halten sich gegenseitig die Sehnsucht nach Gott und die geistliche Einsamkeit. Beide aber entspringen aus guten Gedanken. Seufze darum recht oft zu Gott auf, Philothea, durch kurze aber flammende Herzensgebete. Bewundere seine Schönheit, flehe um seinen Beistand, wirf dich im Geiste nieder zu den Füßen des Gekreuzigten, bete an seine Güte, berate dich mit ihm über dein Heil, schenke ihm tausendmal des Tages deine Seele, hefte die Augen deines Geistes auf seine Holdseligkeit, reiche ihm wie ein Kindlein seinem Vater die Hand, daß er dich führe, lege sein Kreuz an deine Brust wie einen duftenden Blumenstrauß, pflanze es auf in deiner Seele wie eine Fahne; kurz, setze dein Herz auf jede Weise in Bewegung, um dasselbe zu einer zarten, inbrünstigen Liebe zu dem himmlischen Bräutigam zu entzünden.«

Später gibt er den Grund dafür an: »Wie diejenigen, welche von menschlicher und natürlicher Liebe eingenommen sind, fast ohne Unterlaß ihre Gedanken auf den geliebten Gegenstand gerichtet, das Herz voller Gefühle für ihn und den Mund voll von seinem Lobe haben; wie sie in Abwesenheit desselben keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ihre Leidenschaft durch Briefe zu bezeugen und in die Rinde jedes Baumes den Namen des Geliebten zeichnen möchten: also können auch diejenigen, welche Gott lieben, nicht aufhören, an ihn zu denken, für ihn zu atmen, nach ihm zu seufzen, von ihm zu reden, und möchten, wenn es nur möglich wäre, allen Menschen auf Erden den süßen und heiligen Namen Jesu ins Herz drücken.« Dann beschreibt der Heilige in seiner Weise die prophetische Dinggebundenheit: Zu diesem Denken an Gott und zu diesem Aufseufzen zu ihm »laden alle Dinge sie ein; es gibt kein Geschöpf, das ihnen des Geliebten Lob nicht verkündigt; alles, was auf der Welt ist, spricht ihnen in stummer, aber sehr verständlicher Sprache von ihrer Liebe; alles erweckt sie zu frommen Gedanken, aus welchen dann die Erhebungen des Herzens und die Seufzer zu Gott sich erzeugen« (Phil. ## Ii,13).

Die vielen anregenden Beispiele, die sodann aus Kirchen- und Heiligengeschichte angeführt werden (vgl. Phil. II,13), zeigen alle, wie dieses Denken an Gott und seine Eigenschaften und Absichten die Seele zum Lieben und Leben entzündet.

Es ist also bloß ein Teil, vielleicht der geringere Teil echter prophetischer Dinggebundenheit, wenn die Geschöpfe uns an Gott und Göttliches erinnern; sie müssen und sollen auch gleichzeitig unser Herz und unseren Willen für Gott gewinnen.

2. Die priesterlidle Dinggebundenheit

1. Aufgabe des Priesters ist das Lob Gottes. Er bringt es dem Dreieinen im Namen der Kirche und der ganzen Schöpfung dar. Ja, auch die unbeseelte Natur darf und muß teilnehmen am Lobe Gottes. Darum singt die Hl. Schrift: »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!« Die Schöpfung erfüllt aber ihre Aufgabe nur soweit, als der Mensch durch sie sich zum Lobe Gottes anregen läßt. Wer auf diese stummen und doch so lauten Bitten der Kreatur eingeht und durch die Schöpfung schreitend sein priesterliches »Benedicite« betet, der hat priesterliche Dinggebundenheit. Hast du schon einmal in einer stürmischen Gewitternacht am Fenster gestanden und dem Naturschauspiel zugesehen? Wie da die Kronen der Bäume zerzaust werden und sich zur Erde neigen, wie die Wolken jagen und der blauschwarze Himmel von feurigen Blitzen zerrissen wird? Alles scheint Bewegung und Aufruhr, und dazwischen heult der Sturmwind, begleitet vom dumpfen Donner. - Oder hast du einmal am Meeresufer Auge, Ohr und Herz geöffnet für das Herrliche, Unbeschreibliche dieses Anblicks? Hast du in dich hineingetrunken die unfaßbare Weite, das Plätschern und Brodeln und Schäumen der Wellen, das leuchtende und glitzernde Licht, das in endlosen Farben sich bricht? - Durftest du vielleicht die Allgewalt der Natur verkosten in einem einsamen Hochwald, von andachtsvollem Schweigen umhüllt? Über dir das Blätterdach stämmiger Buchen, darin der Wind seine Weisen spielt, um dich herum Vogelgesang und Käfergebrumme, hier und da scheuchte dein Schritt ein Reh oder ein banges Häslein auf. Ist es dir nicht in solchen Stunden gewesen, wie wenn du ein jubelndes Te Deum, ein dankbares Gloria in excelsis Deo anstimmen müßtest, weil dich etwas zwang, der Natur deine Stimme, deine Sprache zu leihen?

Ja, Gewitternacht, das brausende Meer und der rauschendeWald sollen und wollen ein Loblied singen auf den gütigen, weisen, allmächtigen Schöpfer, und sie bitten uns gleichsam, Mittler zu spielen, damit sie den Sinn ihres Daseins erfüllen können.

Ähnlich reißt es uns mit, wenn in der Großstadt mit einem Male die Glocken von vielen Kirchtürmen her einsetzen, um ein Hochfest einzuläuten. Eine will die andere überbieten zum Lobpreise Gottes. Die Kreatur sucht Menschen, die das priesterliche Benedicite für sie auf die Lippen nehmen. Dann erst ist Gott mit uns und mit der Schöpfung zufrieden.

Aber nicht nur Sterne und Wald und Blumen sind dazu da, Gott zu loben und zu verherrlichen nicht nur das Meer und der Sturmwind will in menschliche Sprache übertragen sein. Auch die Kultur- und Industriegüter haben dieselbe Sehnsucht. Hochofen und Auto, Telefon und Radio möchten auch ein Loblied singen auf den weisen und allmächtigen Gott! Wir Menschen des technischen Zeitalters müßten lernen, auch der rasselnden Schreibmaschine, dem Sirenengeheul der Fabriken unsere Stimme zu leihen, um diesen Kulturgütern ein priesterlicher Mittler zum Schöpfer zu werden. So nur finden auch sie ihres Daseins Erfüllung!

Himmel und Erde und Meere sind voll von der Herrlichkeit Gottes! Wir dürfen darum nicht mit verbundenen Augen durch die Natur gehen. Laßt uns vielmehr mit freien, offenen Blicken überall die Spuren Gottes sehen und suchen und für sie den Allmächtigen lobenl

2. So hat der hl. Franziskus, der Spielmann Gottes, die Bitten der Kreatur verstanden und als Meister der priesterlichen Dinggebundenheit erwidert. Dafür zeugt sein Sonnengesang.

»Höchster, allmächtiger, guter Herr, dir kommt Lobpreis und Ruhm, Ehre und jeglicher Segen zu.

Dir allein, Höchster, gebühren sie;

und kein Mensch ist wert, dich zu nennen.

Gelobet seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, mit der edlen Frau, vornehmlich unserer Schwester, der Sonne, die Licht uns spendend den Tag erfreut.

Wie schön und strahlend ist sie! Gewaltig an Pracht, spiegelt sie dich, o Höchster, uns wider.

Gelobt seist du, mein Herr, durch den Bruder Mond und die Sterne;

am Himmel hast du sie geformt, hell funkelnd herab aus der Ferne.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsern Bruder, den Wind, und durch die Luft, das Gewölk, das Wetter, ob heiter, ob trübe, womit zum Gedeihen du bringst alles, was du erschaffen.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, die Quelle, die nützliches Wasser uns spendet, bescheiden, kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsern Bruder, das Feuer, mit dem die Nacht du erleuchtest, so schön, anheimelnd, gewaltig und stark.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester und Mutter, die Erde, die uns ernährt und verpflegt und mancherlei Früchte uns spendet und bunte Blumen und Kräuter.

Lob und Preis und Dank meinem Herrn, laßt uns in Demut dienen ihm gern.

Gelobt seist du, mein Herr, durch die, so vergeben aus Liebe zu dir und geduldig ertragen Schwachheit und Trübsal.

Selig sind die, welche harren in Frieden;

denn du, Höchster, wirst sie einst krönen.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsern Bruder, den leiblichen Tod, dem keiner entgehen kann unter den Lebenden.

Wehe denen, die sterben in Todessünden, selig die, die sich finden in deinen heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird sie nicht heimsuchen.«

Was Franziskus mit dichterischem Schwung aus gottinnigem Herzen gesungen, ist eine glänzende Umschreibung von einigen Versen des Benedicite, das wir gerne mit dem Priester nach der heiligen Messe beten:

»Lobpreist den Herrn, ihr Werke Gottes alle, lobet und rühmet ihn in Ewigkeit!

Ihr Engel Gottes, preiset den Herrn, ihr Himmel, preiset den Herrn!

Alle Wasser hoch am Himmel, preiset den Herrn, ihr Heerscharen Gottes, preiset den Herrn!

Mond und Sonne preiset den Herrn, ihr Himmelssterne, preiset den Herrn!

All Tau und Regen, preiset den Herrn, ihr Stürme Gottes, preiset den Herrn!

Glut und Feuer, preiset den Herrn, Kälte und Hitze, preiset den Herrn!

Tau und Rauhreif, preiset den Herrn, Frost und Kälte, preiset den Herrn!

Eis und Schnee, preiset den Herrn, ihr Nächte und Tage, preiset den Herrn!

Licht und Dunkel, preiset den Herrn, ihr Blitze und Wolken, preiset den Herrn !

Es preise den Herrn die Erde, sie lobe und rühme ihn in Ewigkeit!

Ihr Berge und Hügel, preiset den Herrn, was immer sproßt auf Erden, preise den Herrn!

Ihr Quellen alle, preiset den Herrn, ihr Meere und Ströme, preiset den Herrn!

Was im Wasser sich tummelt, preise den Herrn, ihr Vögel des Himmels, preiset den Herrn!

Getier allerArten, preise den Herrn, ihr Menschenkinder, preiset den Herrn!

Es preise Israel den Herrn, es lobe und rühme ihn in Ewigkeit!

Ihr Priester Gottes, preiset den Herrn, ihr Knechte Gottes, preiset den Herrn!

Ihr reinen Geister der Gerechten, preiset den Herrn, ihr Heiligen und Demütigen, preiset den Herrn!

Laßt uns preisen den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geiste, ihn wollen wir loben und rühmen in Ewigkeit!

Herr, dein Lobpreis steht am Firmament des Himmels, lobwürdig, glorreich, hoch über das All in Ewigkeit!«

3. Die heroische Dinggebundenheit

Der Werktagsheilige geht durch Natur und Kultur und hilft allem Geschaffenen, Gott zu loben und zu preisen. Aber er weiß auch, daß er prophetische und priesterliche Dinggebundenheit nicht pflegen kann ohne die heroische. Heroische Dinggebundenheit ist aber gleichbedeutend mit Dingentbundenheit des persönlichen, überweltlichen Gottes. Gottgefälliger Genuß der Geschöpfe ist nicht denkbar ohne gottgefälligen Verzicht.

Nicht selten sprechen wir von göttlicher Bedürfnislosigkeit. Wil meinen damit eine gewisse Angleichung an Gott, der von den Geschöpfen, vor allem den Gebrauchsgegenständen, vollständig unabhängig ist.

Der Heiland hat uns diese göttliche Bedürfnislosigkeit durch sein Leben veranschaulicht und dadurch den Weg gewiesen, wie wir zunächst innerlich unabhängig von den Dingen sein sollen, sodann aber auch unter Umständen uns äußerlich davon lösen können. Unter heroischer Dinggebundenheit verstehen wir darum den gottgefälligen Verzicht auf die Geschöpfe nach dem Vorbild des Gottmenschen - des armen, demütigen und gekreuzigten Heilandes - oder den Geist der Gelübde, d.h. die innere Unabhängigkeit von ungeordneter Anhänglichkeit an Hab und Gut, an Ehre und Ansehen, und an sinnliche Genüsse. Ist diese Unabhängigkeit echt, so muß sie sich auch bei Gelegenheit in äußeren Taten bewähren.

Der Heiland und die heroische Dinggebundenheit

1. Der Heiland hat uns in seinem irdischen Leben diese innere und äußere Freiheit vorgelebt und uns recht häufig ermuntert zu seiner Nachfolge. Israel hat ihn nicht verstanden. Das auserwählte Volk erwartete so sehnsüchtig seinen Erlöser. Und als er erschien, erkannte es ihn nicht, verwarf und tötete ihn. Es hatte ein falsches Heilandsbild. Es erwartete einen politischen Messias, den Befreier aus römischer Knechtschaft. Es sehnte sich nach einem Kulturheiland - und all das wollte der Gottmensch nicht sein. Sein Ziel war Erlösung von Schuld und Sünde und Mitteilung des göttlichen Lebens.

Um dieses Ziel zu erreichen, lebte er uns ein Leben der Armut, der Demut und Reinheit vor. »Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel des Himmels ihre Nester, der Menschensohn aber hat keine Stätte, wohin er sein Haupt legen könnte« (Matth. 8,20) - so sagte er von sich selbst.

Den wirtschaftlichen Gütern gegenüber war er der arme, den Genüssen gegenüber der gekreuzigte, der Ehre gegenüber der demütige und verachtete Heiland. Fürwahr, göttliche Dingentbundenheit! So stand es über der Krippe, als die Mutter im kalten Stall die zarten Glieder ihres Kindes auf hartes Stroh bettete; so stand es auch über dem Kreuz: der nackte Balken war das Sterbekissen des Erlösers, ein kleines Lendentuch sein Sterbekleid und höhnende, spöttische Worte drangen statt der Sterbegebete an sein Ohr.

Die Gründe für die Wahl dieses armen, demütigen und gekreuzigten Heilandslebens sind nicht schwer zu finden. Der letzte Grund ist der Vaterwille. Er wollte seinen Eingeborenen durch tiefgehende Dingentbundenheit Sühne leisten lassen für unsere Dingversklavung, durch die Mittellosigkeit die Göttlichkeit seiner Person und Sendung beweisen und den Heroismus seiner Liebe in anschaulicher Weise darstellen lassen.

Je mehr der Heiland von irdischen Dingen entblößt vor uns steht, desto größer kommt er uns in seiner göttlichen Mittellosigkeit und Bedürfnislosigkeit vor. Er brauchte all diese menschlichen Mittel nicht, um sich durchzusetzen und sein Werk zu wirken. Opera Dei ex nihilo! Gott wirkt seine Werke am liebsten aus nichts, um dadurch ihren göttlichen Ursprung zu beweisen. Was natürlicherweise seine Kirche groß machen konnte, hat er bei deren Gründung unberücksichtigt gelassen. Er wählte zu seinen Aposteln und Jüngern nicht finanzfähige Männer oder hellstrahlende Lichter am Himmel der Wissenschaft oder politisch einflußreiche Größen. Und auch die Erstlinge, die die Apostel für den Herrn gewonnen, kannten diese irdische Vorzugsstellung nicht.

»Seht nur auf eure Berufung, meine Brüder!« konnte Paulus sagen. »Da sind nicht viele Weise im Sinne der Welt, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme; nein, was der Welt als töricht gilt, hat Gott auserwählt, um die Weisen zu beschämen; was der Welt als schwach gilt, hat Gott auserwählt, um das Starke zu beschämen; was der Welt niedrig und verächtlich, ja was ihr nichts gilt, hat Gott auserwählt, um das, was etwas gilt, zunichte zu machen.«

Dann fügt er gleich den Grund bei: »Denn kein Erdenmensch soll sich vor Gott rühmen können. Durch ihn seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott zur Weisheit geworden ist, zur Rechtfertigung, Heiligung und Erlösung. Wer sich rühmen will, sagt die Schrift, rühme sich des Herrn« (1 Kor. 1,26ff.).

Der Himmelsvater hat seinen Eingeborenen noch aus einem andern Grunde so der Entbehrung und dem Leid ausgeliefert: er wollte ja die Liebe der Menschen gewinnen. Das konnte er am wirksamsten durch anschauliche Liebeserweise. Der arme, demütige, gekreuzigte Gottmensch sollte nun nach des Vaters Absicht der größte und greifbarste Beweis seiner Liebe sein. Goldechte Liebe bewährt sich ja immer im Opfer. Darum ist die größte Liebe die Opferliebe. »Eine größere Liebe als diese hat niemand, daß er nämlich sein Leben hingibt für seine Freunde« (Joh. 15,13). Deshalb konnte der Heiland auch Nikodemus sagen: »Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe« (Joh. 3,16).

2. Was der Heiland gelebt, hat er aber auch gelehrt. Der hl. Matthäus faßt im 5. Kapitel seines Evangeliums das Grundgesetz des Christentums kurz zusammen. Schon gleich der Anfang, die Darstellung der Grundzüge, die acht Seligkeiten, lassen uns keinen Zweifel über den wahren Geist Christi. Ohne innerliche, von Liebe getragene Lösung von den Dingen, ohne Abtötung und Selbstverleugnung ist der hier ersehnte Geist der Armut, der Bußtrauer und der Sanftmut unmöglich. Hunger und Durst nach Gerechtigkeit und Reinheit des Herzens, nach Barmherzigkeit und Friedfertigkeit verlangen als ständigen Begleiter eine ständige Loslösung. Freudige Ergebung bei Verfolgungen und Verleumdungen und Erleiden von Unrecht aller Art setzt einen hohen Grad allseitiger Dingentbundenheit voraus.

Noch klarer spricht der Heiland, wo er diese allgemeinen Richtlinien auf die einzelnen Handlungen des Alltags angewandt wissen will:

»Bringst du also deine Opfergabe zum Altare und erinnerst dich dort, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altare, geh zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder; dann komm und opfere deine Gabe« (Matth. 5, 23-26). »... Ich aber sage euch, widersteht nicht dem Böswilligen! Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin. Will jemand mit dir vor Gericht gehen und dir deinen Rock nehmen, so laß ihm auch den Mantel. Nötigt dich jemand, eine Meile weit mitzugehen, so gehe zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib; wer von dir borgen will, den weise nicht ab. Ihr habt gehört, daß gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch, liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für jene, die euch verfolgen und verleumden: so werdet ihr Kinder eures himmlischen Vaters, der über Gute und Böse seine Sonne aufgehen läßt und Gerechten und Sündern Regen spendet. Denn wenn ihr nur jene liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr davon? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr bloß eure Freunde grüßt, was tut ihr da Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist« (Matth. 5, 39-48).

Wie ernst es dem Heiland mit der Forderung der inneren Lösung ist, bringt er uns zum Bewußtsein durch schroffe Gegenüberstellung mit der Gerechtigkeit der Pharisäer:

"Glaubt nicht, ich sei gekommen, Gesetz und Propheten aufzuheben. Nicht um sie aufzuheben, bin ich gekommen, sondern um sie zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch, bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Strichlein vom Gesetze vergehen, bis alles eingetreten ist. wer nur eines dieser Gebote, und sei es das geringste, aufhebt und die Menschen so lehrt, wird der Geringste heißen im Himmelreiche. Wer sie aber hält und so lehrt, wird groß heißen im Himmelreiche. Denn ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit nicht größer sein wird als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr in das Himmelreich nicht eingehen« (Matth. 5,17-20).

Pharisäer und Schriftgelehrte ließen an äußerer Religiosität und Gesetzestreue nichts zu wünschen übrig. Der Heiland stellt ihnen aber den Geist des Christentums, den Geist der Liebe und Entsagung gegenüber Diesen verlangt er von den Seinen.

3. Besonders viel Gewicht legt er dabei auf den Geist der Armut.

»Sammelt euch« - so mahnt er die Seinen - »nicht Schätze auf Erden, wo Motten und Rost sie vernichten, wo Diebe sie ausgraben und stehlen. Sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie vernichten, wo Diebe sie nicht ausgraben und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

Das Licht deines Leibes ist das Auge. Ist dein Auge gesund, so ist dein ganzer Leib licht; ist aber dein Auge krank, so ist dein ganzer Leib finster. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muß dann die Finsternis sein!

Niemand kann zwei Herren dienen; entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

So sage ich euch denn, seid nicht ängstlich besorgt um euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Betrachtet die Vögel des Himmels: sie säen nicht sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen: euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr als sie? Wer von euch kann mit seinen Sorgen sein Leben auch nur um eine Spanne verlängern?

Und warum seid ihr ängstlich besorgt um die Kleidung? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht und spinnen nicht; und dennoch sage ich euch, selbst Salomon in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wieviel mehr euch, ihr Kleinmütigen!

Sorgt also nicht ängstlich und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Womit sollen wir uns bekleiden? Um all das sorgen sich die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß ja, daß ihr dies alles nötig habt. Suchet zuerst das Reich und die Gerechtigkeit Gottes, dann wird euch dies alles hinzugegeben werden. Sorgt also nicht ängstlich für den morgigen Tag: denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Jeder Tag hat an seiner eigenen Plage genug« (Matth. 6,19-34).

Es fällt uns nicht schwer, aus diesen Warnungen herauszuhören, daß die irdischen Dinge vergänglich sind - sie werden von Rost und Motten verzehrt - und daß sie uns in Gefahr bringen, unser Herz zu teilen und Gott etwas Wesentliches von unserer Hingabe zu entziehen. Man kann eben nicht Gott dienen und gleichzeitig Mammonsklave bleiben. Unsere Haltung muß darum sein: Maßvolle Sorge um wirtschaftliche Existenz und Wohlstand, verbunden mit innerer Unabhängigkeit von ungeordneter Anhänglichkeit und hochgradigem Vertrauen auf Gottes Vatergüte. Wo dieses Vertrauen vorhanden, ist er bereit, eher ein Wunder zu wirken, als es den Seinen am Notwendigen fehlen zu lassen.

Bei Gelegenheit war der Heiland mit den Seinen auf dem See ohne genügend Proviant. »Sie hatten vergessen«, - so berichtet Markus - »Brot mitzunehmen. Nur ein einziges Brot hatten sie im Boote bei sich. Da sprach er warnend zu ihnen: ‘Gebt acht und hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und dem Sauerteige des Herodes.’ Da machten sie sich untereinander Gedanken und sagten: ‘Wir haben keine Brote.’ Jesus merkte es und sprach zu ihnen: ‘Was macht ihr euch Gedanken darüber, daß ihr keine Brote habt? Versteht und begreift ihr noch nichcht? Ist euer Sinn verblendet? Ihr habt Augen und seht nicht? Ihr habt Ohren und hört nicht? Denkt ihr nicht mehr daran, wie ich damals fünf Brote für die Fünftausend brach? Wieviel Körbe voll Stücklein habt ihr da aufgehoben?’ ‘Zwölf.’, antworteten sie ihm. ‘Und als ich die sieben Brote für die Viertausend brach, wieviel Körbe voll Stücklein habt ihr da aufgehoben?’ ‘Sieben’, antworteten sie. Da sprach er zu ihnen: ‘Seid ihr noch immer ohne Einsicht?’« (Mark. 8,14-21).

Ein besonders großer Beweis des Vertrauens und darum ein gleich vorzügliches Mittel, Gottes väterlich sorgendeVorsehung in Bewegung zu setzen, ist Freigebigkeit.

Darum mahnt der Herr:

»Gebt, so wird euch gegeben werden: ein gutes, zusammengedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man euch in den Schoß schütten. Denn mit dem gleichen Maße, mit dem ihr messet, wird euch wieder gemessen werden« (Luk. 6,38).

Aus all dem verstehen wir, weshalb der Heiland da, wo er eine vollkommene Nachahmung verlangt, so herbe Armutsforderungen stellt. Dem reichen Jüngling erklärt er ohne Umschweife: »Willst du vollkommen sein, gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, dann komm und folge mir nach!« (Matth. 19,21). - Als er seinen Aposteln den Auftrag gab, die Welt zu erobern, gab er ihnen mit keiner Silbe Anweisung, wie sie sich die zeitlichen Hilfsmittel verschaffen, Reichtümer für die Kirche und Einfluß bei den Großen dieser Welt sichern könnten. Er verlangt vielmehr von ihnen vollkommene Entsagung:

»Nehmt weder Gold noch Silber noch anderes Geld in euren Gürteln mit, keine Reisetasche, nicht zwei Röcke, keine Schuhe und keinen Stab« (Matth. 10,9). - »Er sprach zu ihnen: ‘Nehmt nichts mit auf den Weg, weder Stab, noch Tasche, noch Brot, noch Geld, auch sollt ihr nicht zwei Röcke haben’« (Luk. 9,3).

Dafür stattet er sie aber um so reicher mit übernatürlichen Kräften aus. Bezeichnend ist das Wort, das Petrus dem Lahmen an der Tempelpforte, der ihn um ein Almosen bat, zugerufen: »Silber und Gold habe ich nicht, was ich aber habe, das gebe ich dir« (Apg. 3,6)! Und er machte Gebrauch von der ihm verliehenenWunderkraft und heilte ihn.

Der Werktagsheilige und die heroische Dinggebundenheit

Der Werktagsheilige bemüht sich in standes- und sinngemäßer Weise um die Haltung des Heilandes den wirtschaftlichen Gütern gegenüber. Dazu drängt ihn die Glut und Kraft seiner Gottesliebe.

Die Liebe ist für ihn das Höchste. Alle sittlichen Tugenden sind ihm Ausdrucksform der Gottesliebe. Liebe »ist das Band der Vollkommenheit« (Kol. 3,14), d.h. das Band, das möglichst vollkommen miteinander verbindet Gott und Mensch, Mensch und Mensch und im Menschen die einzelnen Tugenden. Sie will als die Königin der Tugenden angesprochen werden. Paulus darf darum erklären: »Und wenn ich all meine Habe den Armen austeilte und meinen Leib zum Verbrennen hingäbe, hätte aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts« (1 Kor. 13,3). »Als der Heiland dem fragenden Pharisäer die Liebe als das Hauptgebot dargestellt, antwortete dieser: ‘Treffend hast du, Meister, nach der Wahrheit gesprochen: Es gibt nur Einen (Gott), und außer ihm gibt es keinen andern. Ihn lieben mit ganzem Herzen, (mit ganze Seele), mit dem ganzen Gemüte und mit allen Kräften und den Nächsten wie sich selbst: das ist mehr wert als alle Brand- und Schlachtopfer.’ Als Jesus sah, daß jener so verständig antwortete, sprach er zu ihm: ‘Du bist vom Reiche Gottes nicht mehr weit entfernt.’ Fortan wagte es niemand mehr, ihm eine Frage vorzulegen« (Mark. 12,32-34).

Das wahre Kennzeichen echter Frömmigkeit und Jüngerschaft Jesu isi nicht Abtötung, nicht einmal das Martyrium, auch nicht Armut, sondern Liebe, die alle Tugenden weckt und beseelen soll.

Hieronymus bleibt einmal stehen bei den Worten des hl. Petrus an den Heiland: »Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt!« Er fragt sich, wie diese beiden Worte innerlich zusammenhängen. Hat es denn nicht viele andere Männer in der Geschichte gegeben, die auch alles verlassen und arm und bedürfnislos gelebt haben? Worin liegt der Unterschied zwischen der christlichen Armut und der heidnischen? Der christliche Heilige verzichtet aus Liebe zu Christus. Um ihm nachzufolgen, verläßt er alles.

Diese Liebe läßt den Werktagsheiligen tiefinnerlich die Quelle alles Mißbrauches, die Habsucht, überwinden, gibt ihm Wärme, um in seiner nahen und weiten Umgebung, in Staat und Gesellschaft beseelend zu wirken, und bewahrt ihn bei aller Bedürfnislosigkeit und Besitzlosigkeit vor Roheit des Gemütes.

1. Die Sucht zu haben, die Habsucht, nennt Paulus »die Wurzel aller Übel« (1 Tim. 6,10). Die Habsüchtigen selber werden als »unverschämte Hunde, die nicht satt werden«, bezeichnet (Sir. 31,5). Habsucht ist gleichbedeutend mit kapitalistischem Geist oder schrankenlosem Erwerbstrieb und verursacht als Mutter des modernen Mammonismus ein Großteil der gegenwärtigen Weltkrisen.

Nur tiefgehender und umfassender Geist der Liebe kann hier wirklich Wandel schaffen.

Pius XI. weist in seinem Rundschreiben, das mit den Worten beginnt: »Quadragesimo anno«, auf ein Wort Leos XIII. hin:

»Soll der menschlichen Gesellschaft geholfen werden, dann wird allein die Erneuerung christlichen Lebens und christlicher Einrichtungen helfen.« Dann fährt er fort: »Sie« - die christliche Erneuerung - »allein kann der übertriebenen Sorge um die vergänglichen Güter, die aller Übel Wurzel ist, wirksam abhelfen; sie allein kann die Menschen, die wie gebannt auf die Nichtigkeiten des diesseitigen Lebens starren, davon losreißen und ihre Blicke wieder himmelwärts richten. Und wer möchte leugnen, daß im Augenblick die menschliche Gesellschaft dieses Heilmittels am meisten bedarf ? ...

Was nützt es, sie verläßliche Grundsätze über die Wirtschaft zu lehren, wenn sie in zügelloser und schmutziger Gier so von der Selbstsucht sich beherrschen lassen, daß sie ‘die Gebote Gottes zwar hören, aber in allem das Gegenteil davon tun?’ (Vgl. Richt. 2,17).

Tiefste Ursache dieser Abkehr vom Gesetz Christi in Gesellschaft und Wirtschaft und des daher rührenden Abfalls so großer Arbeitermassen vom katholischen Glauben ist die ungeordnete Begierlichkeit in der Menschenbrust, diese traurige Folge der Erbsünde. Durch die Erbsünde ist ja die ursprüngliche wunderbare Harmonie der menschlichen Anlagen so gestört, daß der Mensch allzu leicht seinen ungeordneten Trieben unterliegt und die stärksten Lockungen verspürt, die hinfälligen Güter dieser Welt den himmlischen und dauerhaften Gütern vorzuziehen. Daher jene unstillbare Gier nach Reichtum an irdischen Gütern, die zu allen Zeiten die Menschen zur Übertretung des göttlichen Gesetzes und zur Verletzung der Rechte des Nebenmenschen verleitet hat, in der heutigen Wirtschaftsweise aber der menschlichen Schwachheit ganz besonders zahlreiche Gelegenheiten zum Falle bietet.

Die übermäßige Labilität der Wirtschaftslage und der ganzen Wirtschaftsverfassung fordert vom wirtschaftlichen Menschen dauernd die höchste Anspannung seiner Kräfte. Dadurch sind viele Gewissen so abgestumpft, daß ihnen zum Geldverdienen jedes Mittel gut genug ist und sie erst recht keine Mittel scheuen, um sich im Besitz des mit so großen Anstrengungen Erworbenen gegen Wechselfälle des wirtschaftlichen Lebens zu behaupten. Die Leichtigkeit für jedermann, im ungeregelten Markt Gewinne zu machen, lockt viele zum Handel und Güterumsatz, die nur ein Ziel haben, möglichst mühelos und bequem zu gewinnen und zu diesem Ende ohne sachliche Berechtigung, nur aus Beutegier, die Preise durch wilde Spekulation ruhelos nach oben und wieder nach unten zu treiben, wodurch alle Berechnungen ernster Wirtschaftler durchkreuzt werden. Die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsformen für Erwerbsgesellschaften mit ihrer Teilung der Verantwortlichkeit und ihrer Haftungsbeschränkung haben Anlaß geboten zu sehr üblen Mißbräuchen. Es zeigt sich, daß die auf diese Weise stark geschwächte Rechenschaftspflicht nur wenig Eindruck macht. Die schlimmsten Ungerechtigkeiten und Betrügereien spielen sich ab im Halbdunkel der Anonymität hinter der Fassade einer neutralen Firma. Verwaltungen von Erwerbsgesellschaften gehen in ihrer Pflichtvergessenheit bis zur Untreue denen gegenüber, deren Ersparnisse sie zu verwalten haben. An letzter Stelle ist noch zu nennen die skrupellose, aber wohlberechnete Spekulation auf die niederen Triebe des Publikums, die man aufstachelt, um an ihrer Befriedigung zu verdienen.

Eine strenge und feste Handhabung der Wirtschaftsmoral seitens der Staatsgewalt hätte diese überaus schweren Ubelstände fernhalten oder ihnen zuvorkommen können; daran fehlte es aber allzuoft kläglich. Da die Anfänge der neuen Wirtschaft gerade in die Zeit fielen, da der Rationalismus die Geister beherrschte und sich tief in sie eingefressen hatte, entstand bald eine Wirtschaftswissenschaft, die es unterließ, sich an der wahren Sittennorm zu orientieren. Das hatte zur Folge, daß den menschlichen Leidenschaften völlig die Zügel gelockert wurden.

Infolgedessen warfen sich die Menschen in noch viel größerer Zahl ab früher einzig auf den Reichtumserwerb mit allen Mitteln; ihren Eigennutz über alles stellend und allem anderen vorziehend, machten sie sich kein Gewissen aus noch so schwerem Unrecht gegen andere. Die ersten, die diesen breiten Weg einschlugen, der zum Verderben führt (Matth. 7,13), fanden mit Leichtigkeit viele Nachahmer auf ihrem Wege. Ihre augenscheinlichen Erfolge, der Glanz ihres Reichtums, der Spott, mit dem sie sich über die altväterliche Gewissenhaftigkeit der andern lustig machten, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie über die Leichen weniger skrupelloser Konkurrenten hinwegschritten, alles dies konnte ja seinen Eindruck nicht verfehlen.

Wenn die Wirtschaftsführer vom rechten Weg abkamen, konnte es kaum ausbleiben, daß auch die breiten werktätigen Massen den gleichen Weg des Verderbens einschlugen. Dies um so mehr, als viele Arbeitgeber ihre Arbeiter als bloße Werkzeuge behandelten ohne Rücksicht auf ihre Seele, ohne jeden Gedanken an höhere Dinge. Wahrhaftig, man schaudert bei dem Gedanken an die zahllosen Gefahren, denen auf der Arbeitsstätte die Sittlichkeit der Arbeiter, namentlich der Jugendlichen, sowie die Frauenehre der jungen Mädchen und übrigen Arbeiterinnen ausgesetzt sind. Man ist erschüttert angesichts der Erschwerungen, die die heutige Wirtschaftsweise und namentlich die ganz unselige Entwicklung des Wohnungswesens dem wirtschaftlichen Zusammenhalt und dem menschlichen Zusammenleben der Familie bereitet. Wie viele Hindernisse für die Sonntagsheiligung! Schmerzlich anzuschauen die allgemeine Erschlaffung gläubig-christlichen Sinnes, an dem Einfältige und Ungelehrte eine so erhabene Lebensweisheit besaßen, und seine Verdrängung durch die eine und einzige Sorge ums tägliche Brot. So wird der Hände Arbeit, die Gott in seiner väterlichen Vorsehung auch nach dem Sündenfalle zur leiblichen und seelischen Wohlfahrt der Menschen bestimmt hatte, weit und breit zur Quelle sittlicher Verderbnis. Während der tote Stoff veredelt die Stätten der Arbeit verläßt, werden die Menschen dort an Leib und Seele verdorben.«

Weil der Werktagsheilige nach Gottesliebe, nach Gottergriffenheit und Gottinnigkeit erfolgreich strebt, fällt er dem schrankenlosen Erwerbstrieb nicht zum Opfer, wenn er zu den Besitzenden gehört.

»Reich im Geiste ist« - erklärt der hl. Franz von Sales - »wer seine Reichtümer in seinem Herzen oder sein Herz in seinen Reichtümern hat. Der Arme im Geiste hat die Reichtümer nicht in seinem Herzen und sein Herz nicht in den Reichtümern. Die Eisvögel bauen ihre Nester am Ufer des Meeres in Form eines Apfels und lassen in demselben nur eine ganz kleine Öffnung nach oben, bauen sie aber so fest und undurchdringlich, daß das Wasser nicht eindringen kann, wenn auch die Wellen sie wegspülen. So bleiben sie immer oben, und mitten im Meere über dem Meere und Meister des Meeres. Ebenso, liebe Philothea, soll dein Herz sein, dem Himmel allein offen, undurchdringlich aber dem Reichtum und allen vergänglichen Dingen. Besitzest du deren, so behüte dein Herz vor der Anhänglichkeit an dieselben, damit es stets oben und mitten unter den Reichtümern ohne Reichtum und Herr und Meister derselben sei. Nein, versenke nicht diesen himmlischen Geist in die irdischen Güter, laß ihn stets über und nie in ihnen sein.… Wenn dein Herz an den Gütern, die du besitzest, hängt, oft bei ihnen verweilt, sich viel mit ihnen zu schaffen macht und lebhaft und unruhig sie zu verlieren fürchtet, so hast du, glaube es mir, noch eine Art Fieber. Denn die Fieberkranken trinken das Wasser, das man ihnen reicht, mit einer gewissen Aufmerksamkeit, mit einer Art Bedacht und Behaglichkeit, die bei Gesunden nicht gewöhnlich ist. Man kann an einer Sache nicht besonders Gefallen finden, wenn man nicht eine besondere Vorliebe für sie hegt. Wenn du bei einem Verlust an deinen Gütern dich sehr betrübt und niedergeschlagen fühlst, dann sei versichert, daß du sehr daran hängst. Denn nichts bezeugt so sehr die Anhänglichkeit an eine Sache, als der Schmerz, den man bei ihrem Verlust empfindet« (Phil. III,14).

Wahre Liebe besteht in der gegenseitigen Mitteilung derGüter. Darum gibt der Werktagsheilige Gott, von dem er alles empfangen, das Eigentumsrecht auf sein Besitztum zurück und betrachtet sich nur als dessen Verwalter. So bleibt er in all seinem Reichtum in schlichter Abhängigkeit vom Geber alles Guten. Weil er Verwalter des göttlichen Eigentums sein darf, gibt er sich besonders Mühe für dessen Erhaltung und Mehrung, ähnlich wie ein Gärtner den Garten eines Königs treuer und sorgfältiger pflegt als den eigenen. Um sich aber vor den Schleichwegen der Natur zu schützen, zahlt er seinen Untergebenen nicht nur gern, was ihnen von rechtswegen zukommt, er schenkt auch reichlich von seinem Überfluß und freut sich, wenn er bisweilen am Notwendigen oder Zukömmlichen Mangel leiden darf, etwa wenn er nicht beachtet wird bei der Bedienung oder auf seinen Reisen oder im Dienste.

Mangel am Notwendigen sucht er vor allem dann, wenn er für sich allein ist So wissen wir vom hl. Franz von Sales, daß er sein Empfangszimmer zwar standesgemäß eingerichtet, darüber hinaus aber sein Arbeitszimmer überaus ärmlich ausgestattet hatte. Das war dann eben Franzens Zimmer. in dessen Armut und Schlichtheit er sich besonders wohlfühlte.

Solche und ähnliche Gelegenheiten nutzt der Werktagsheilige freudig aus, um in sich die Kindes- und Bettlergesinnung Gott gegenüber zu vertiefen.

Eine besondere Freude ist es für ihn, da er im Geiste arm ist wenn er mit den wirklich Armen verkehren darf. In ihnen ehrt und iiebt er Christus, der feierlich erklärt: »Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan« (Matth. 25,40). Hier fühlt er sich unter seinesgleichen. Der geistig Arme fühlt sich bei dem wirklich Armen wohl. Noch mehr glaubt er sich geehrt, wenn er den Armen persönliche Dienste erweisen kann, etwa in Krankheits- oder Unglücksfällen. Da weiß er sich so ganz dem Heiland und seiner hl. Mutter verwandt. Der Heiland hat seinen Aposteln die Füße gewaschen und dabei das Wort gesprochen: »So sollt auch ihr einander die Füße waschen ...« (Joh. 13,14). Maria, seine gebenedeite Mutter, ging eilends über das Gebirge, um der hilfsbedürftigen Base fraulich-magdlich zu dienen.

Wie ernst man es im Mittelalter mit des Heilands Wort genommen, beweist die Geschichte.

Der hl. König Ludwig bediente oft »die Armen, denen er zu essen gab, bei Tische, und täglich nahm er drei derselben an seine eigene Tafel; manchmal genoß er die Überbleibsel ihrer Speisen mit einer Liebe sondergleichen. Wenn er die Krankenhäuser besuchte, was er sehr oft tat, so übernahm er in der Regel die Bedienung solcher Kranken, welche mit den ekelhaftesten Übeln behaftet waren; und diese bediente er, indem er in ihrer Person den Heilant der Welt verehrte, mit entblößtem Haupte und auf den Knien und widmete ihnen eine Liebe, wie die zärtlichste Mutter kaum für ihre Kinder hat. - Die hl. Elisabeth, Tochter des Königs von Ungarn, gesellte sich zu den Armen, so oft sie konnte; zuweilen erschien sie auch wie ein armes Weib gekleidet unter den Frauen ihres Hofes und sagte: ‘Wenn ich arm wäre, würde ich mich so kleiden.’ O mein Gott, wie waren jener Fürst und diese Fürstin arm bei ihren Reichtiimern und reich in ihrer Armut! Selig diejenigen, welche auf solche Weise arm sind denn ihrer ist das Himmelreich. Zu ihnen wird der Armen und der Könige König an jenem großen Tage des Weltgerichtes sagen: ‘Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; nehmt das Reich in Besitz, das euch bereitet ist von dem Anbeginn der Welt’!« (Phil. III,15).

Von ähnlicher Haltung und Handlungsweise läßt der Werktagsheilige sich nicht abbringen durch Einflüsterungen der kranken Natur, die ihm vortäuschen will, er dürfe Gesundheit und Standesehre nicht gefährden, er müsse für seine Kinder ein größeres Vermögen sammeln, oder man wüßte nicht, welche Zeiten noch kämen, darum müßte man jetzt auch für sich selbst vorsorgen. Gott will und muß ja auch noch, selbst in gesicherten Verhältnissen, ein Stück Sorge übernehmen. Dadurch wird er bewahrt vor Überschätzung der irdischen Dinge, die er benutzt als brauchbare Mittel zur Lösung seiner Lebensaufgabe: Liebe und Verherrlichung Gottes.

So bewahrt er sich vor den Gefahren des Reichtums. Er wird groß und reich vor Gott nicht wegen, sondern trotz seines Reichtums. Der Heiland hat ja bei Gelegenheit das harte Wort gesprochen: »Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes« (Matth. 19,24).

Die Heiligen denken genauso. Der hl. Johannes vom Kreuz erklärt: »Wenn wir die Nachteile nennen wollten, welche die Seele infolge der Willensneigung zu den zeitlichen Gütern umgeben, so würden Tinte und Papier nicht reichen und die Zeit zu kurz sein.« - Der hl. Augustinus ist der Überzeugung: »Gift für die Liebe ist die Hoffnung auf Erwerb und Besitz zeitlicher Güter.« - Franz von Sales möchte durch seine Aszese jedoch Wege zeigen, wie man Gift haben kann, ohne sich selber zu vergiften.

Das ist die Art des begüterten Werktagsheiligen. Mehr noch. Gift wird in seiner Hand Heilmittel für fremde Not und ein Heiligungsmittel für die eigene Seele zur Verherrlichung des dreifaltigen Gottes. So predigt er durch die Tat in eindringlicher Weise, was Pius XI. ernst fordert:

»Alle wirklich sachverständigen Sozialreformer erstreben eine vollkommene Rationalisierung, die die rechte Vernunftsordnung des wirtschaftlichen Lebens wiederherstellt. Aber diese Ordnung. die Wir selbst so dringend wünschen und eifrig fördern, bleibt ganz und gar unzulänglich und mangelhaft, wenn nicht alle wirtschaftlichen Betätigungen der Menschen in Nachahmung der wunderbaren Einheit des göttlichen Weltplanes und, soweit Menschen dies gegeben ist, zu seiner Verwirklichung freundwillig sich vereinigen. Wir meinen jene vollkommene Ordnung, die von der Kirche mit aller Kraft gepredigt, ja schon von der natiirlichen Vernunft gefordert wird: alles auf Gott hingeordnet, das erste und höchste Ziel aller geschöpflichen Tätigkeit; alles, was nicht Gott ist, bloßes Mittel, das soweit in Anspruch genommen wird, als es zur Erreichung des letzten Zieles und Endes dienlich ist.

Keineswegs erfährt dadurch die Erwerbstätigkeit eine Minderschätzung, als ob sie gar der Menschenwürde weniger entspräche. Im Gegenteil: wir lernen in ihr den heiligen Willen Gottes verehren, der den Menschen in diese Welt hineinstellte, um sie durch Arbeit seinen vielfältigen Lebensbediirfnissen nutzbar zu machen. Auf ehrliche und rechtschaffene Weise ihren Wohlstand zu mehren, ist denen, die in der Gütererzeugung tätig sind, mitnichten verwehrt; ja, es ist nur billig und recht, daß, wer zum Nutzen der allgemeinen Wohlfahrt tätig ist, auch entsprechend an der gemehrten Güterfülle Anteil habe und zu steigendem Wohlstand gelange. Nur muß der Erwerb dieser Güter in schuldiger Unterwürfigkeit unter Gottes Gesetz und ohne Rechtsverletzung gegenüber dem Nächsten sich vollziehen und ihre Verwendung nach den Grundsätzen des Glaubens und der Vernunft wohlgeordnet sein. Wollten alle immer und überall sich daran halten, dann würden bald nicht nur Gütererzeugung und Vermögenserwerb, sondern auch die heute so häufig ungeordnete Reichtumsverwendung wieder in die rechten Bahnen kommen. Gegenüber der häßlichen Selbstsucht aber, die so recht der Schandfleck und die große Sünde unserer Zeit ist, würde mit sanfter Gewalt das Gesetz christlicher Mäßigung sich durchsetzen, das den Menschen zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen heißt, gewiß, daß Gottes Ereigebigkeit und Verheißungstreue auch die zeitlichen Güter, soviel nötig, beigeben werde (Matth. 6,35)«.

Gehört der Werktagsheilige zu den Enterbten, zu den Besitz- und Erwerbslosen, so ist es wiederum Wärme und Glut seiner Gottesliebe, die den Blick klar erhält für höhere Güter und rückhaltloseres Gottvertrauen. Nicht nur der Reichtum, sondern auch die Armut schließt Gefahren in sich. Darum läßt die Heilige Schrift uns auch beten: »Armut und Reichtum gib mir nicht. Gib mir nur, was ich brauche, daß ich nicht etwa zu satt und zur Leugnung gereizt werde und sage: Wer ist der Herr?« (Spr. 30,8f.).

Der Werktagsheilige überwindet durch die Innigkeit seiner Gottesliebe alle Schwierigkeiten. Neid kennt er nicht. Was sind alle irdischen Güter, gemessen an Gott! Und dieses höchste Gut kann ihm niemant rauben. Weil bei ihm die äußere Armut Ausdruck der inneren Lostrennung ist, bleibt sein Herz frei für »seine Liebe«.

Um in dieser Liebe zu wachsen, pflegt er sorgfältig die Dankbarkeit, die Zufriedenheit und das Vertrauen. Für jede kleine Gabe, auch wenn es sich um die notwendigsten Dinge zum Lebensunterhalt handelt, ist er kindlich dankbar. Er macht es wie der hl. Franziskus von Assisi.

Eines Tages war dieser mit Bruder Masio recht hungrig in ein Dorf gekommen. Um den Hunger zu stillen, bettelten sie unterwegs etwas Brot, trafen bei einer Quelle außerhalb des Dorfes zusammen und legten dort das Erbettelte auf einen breiten Stein. Franz rief plötzlich aus: »O mein Bruder Masio, eines solchen Schatzes sind wir nicht würdig!« So tat er ein um das andere Mal. Der Bruder schüttelte erstaunt und mißbilligend den Kopf und sagte: »Vater, wie kannst du nur von einem Schatze reden, es fehlen uns ja die notwendigsten Dinge. Wir haben weder Tischtuch noch Messer, noch ein Schneidebrett noch Schüssel.« Da jubelte der Heilige: »Das ist es eben, was ich für einen Schatz halte: daß hier keine Dinge sind, die von des Menschen Hand gemacht wurden, sondern was da ist, ist von Gottes Vorsehung bereitet. Von Ewigkeit her hat er gewußt, daß wir heute hungrig und müde hierher kämen, darum hat er diesen Baum wachsen lassen, daß er uns seinen kühlen Schatten spende. Und diesen schönen breiten Stein hat er uns als Tisch hierher gelegt; und damit wir unsern Durst stillen können, hat er uns die schöne kühle Quelle entspringen lassen. O Bruder Masio, wie gütig ist unser Gott!« Und dabei liefen ihm die Tränen der Rührung aus den Augen auf das trockene Brot, das er dankbar genoß.

Dieselbe Gesinnung hat Elisabeth Steidle-Drießen in poetische Forrn gekleidet:

Lieber, heiliger Gott!

Meine Seele wollte Freude suchen,

weil sie ohne Freude ja nicht leben kann.

Niemand konnte ihr die Freude geben,

bis du selbst es, lieber, heiliger Gott, getan.

O ich danke dir für diese Freude,

für das liebe, helle Sonnenlicht.

Für jeden neuen Lebensmorgen.

Und für jeden Tag mit seiner Pflicht.

All meine dunklen, bitt’ren Leiden

werden nun zu lichten, süßen Freuden,

alle Leiden, lauter Freuden!

Und ich breite fröhlich meine Arme

wie ein kleines Kind.

Und ich tanze, wie die kleinen Kinder,

wenn sie glücklich sind.

Liebe Sterne, lieber, stiller Mond,

liebe Nacht, ich grüße euch mit tausend Freuden!

Als ich einsam durch die Berge ging,

mußte ich vor lauter Freude weinen.

Lieber Gott, ich freu' mich über unser täglich Brot,

das lebend'ge Wasser und die klugen Tiere

und die Rätselfreude, den geheimnisvollen Tod!

Über alle Freuden, die ich noch verliere.

Und mit Tränen in den Augen

muß ich manchmal niederknien:

Lieber Gott, ich hab dich so lieb,

drum brauch ich niemand fliehn.

Lieber Gott, ich will dir Blumen bringen,

will dir kleine Freudenlieder singen,

wenn ich unter deinem Kreuze stehe

und in deine wehen Augen sehe.

Liebe, liebe Menschen, hört mich, bitte, an,

weil doch keiner ohne Freude leben kann;

meine Seele ist zum lieben Gott gegangen.

Freudenfülle hat sie da von ihm empfangen.

Alle meine Leiden sind nun lauter Freuden!

Und ich schenke sie ihm immer wieder,

und das wogt im Lichte auf und nieder.

Niemals darf die schwache Kümmernis

den Strahlenweg verderben.

Und die letzte allergrößte Freude

ist das heimlich frohe Sterben.

O ich danke dir für Sturm und Sonne

und für alle meine Leiden,

für die lieben Menschen - und für Bücher,

Bilder - alle Freuden.

Und für deine heil'ge Kirche,

die mir zeigte, wie du alle liebst,

für das heil'ge Freudenmahl,

worin du dich uns selber gibst,

weil du, lieber, heil'ger Gott,

allein die Freude meiner Seele bist,

lieber Gott, ich danke dir,

daß dies mein Freudenlied geworden ist.

Besonders groß wird die Dankbarkeit des armen und verarmten Werktagsheiligen ob seiner Armut, wenn er an den Tod denkt. Andern mag es schwer fallen, sich von ihrem Reichtum zu trennen - ihm fällt der Abschied leicht. Er hat ja nicht viel, woran sein Herz hängen könnte. Und im Tode sind wir ja doch alle gleich. Nackt und hilflos sind wir geboren, noch hilfloser scheiden wir im Tod. Von all unserm Reichtum bleibt uns ja doch nichts mehr.

Die Sage weiß von dem reichen Mazedonierkönig Alexander zu berichten, er habe vor seinem Tode verordnet, man sollte später seine leeren Hände aus dem Sarge heraushängen lassen, damit die Menschen sähen, daß auch der reiche und mächtige Alexander nichts mitnehmen könne in die Ewigkeit.

Die äußere gedrückte Lage kann dem echten Werktagsheiligen die sonnige Zufriedenheit nicht rauben. Seine Armut entspricht sicher Gottes Willen, sonst hätte er sie nicht über ihn verhängt. Das macht ihn innerlich froh. Es ist ja für ihn - wie für den Heiland - seine Speise, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat. Weil seine Umgebung ihn nie anders als arm gesehen, macht sie auch nicht viel Aufhebens davon. Sie hält das für selbstverständlich. So hat seine Armut nicht etwa wie die der Ordensleute den Glorienschein des Heroismus und weckt auch zunächst nicht die Achtung der Umgebung. Will seine Seele unruhig werden, so findet er Ruhe und Erquickung im Gebete.

Eine 62jährige Frau in Berlin fand bei der Reinigung des Papierkorbes einen Zwanzigmarkschein. Sie gab ihn dem Buchhalter sofort zurück. Dieser wunderte sich über eine solche Ehrlichkeit und erkundigte sich nach dem Geheimnis einer derartigen seltenen Handlungsweise. Die schlichte Frau erwiderte: »Ich bitte jeden Tag, daß Gott mich zufrieden hält mit meinem Los und meiner Arbeit, daß er mich vor Unzufriedenheit bewahrt und vor den Versuchungen, die daraus entstehen können.«

Weil die Zufriedenheit des Werktagsheiligen so ganz in Gott gegründet ist, kann sie auch durch nichts erschüttert werden.

»Ein Gottesgelehrter suchte zu seiner eigenen Vervollkommnung einen Seelenführer und Gewissensrat. Nach langem Suchen fand er ihn eines Tages an der Türe einer Kirche in der Person eines von Geschwüren bedeckten Bettlers. Er sprach ihn an: ‘Guten Tag, Bruder!’ Antwort: ‘Ich habe noch nie einen schlechten gehabt.’ - ‘So möge Gott Euch einen besser­en senden.’ - ‘Mein Los war stets das beste.’ - ‘Wie ist das möglich, Ihr seid ja bedeckt mit Wunden und Geschwüren?’ - ‘So ist es, aber die Güte Gottes hat es mir gesendet; wenn die Sonne scheint, freue ich mich der Sonne; wenn es stürmt, ergötze ich mich am Sturm, denn Gott sendet ihn.’ - ‘Wer bist du?’ - ‘Ich bin ein König.’ - ‘Wo ist dein Reich?’ - ‘Meine Seele ist mein Königreich; da gibt es nie eine Rebellion.’ - ‘Wie gelangtest du zu dieser Herrschaft?’ - ‘Ich suchte sie im Gebet und in der Betrachtung so lange, bis ich sie fand.’ - ‘Und wo fandest du sie?’ - ‘Ich fand sie, sobald ich mich von der Außenwelt abgeschält hatte.’«1

Der Werktagsheilige bemüht sich redlich um Verdienst und Arbeife Und hat er beides gefunden, stellt er seinen Mann. Minderwertigkeitsgefühle lassen ihn am Leben nicht irre werden, weil er sich ja von Gott geliebt und geschützt weiß. »Der Mensch ist geboren zur Arbeit wie der Vogel zum Fluge« (Job 5,7). - »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« (2 Thess. 3,10). - Solche Worte sind für ihn der selbstverständliche Ausdruck seiner eigenen Überzeugung - allerdings mit der Einschränkung, die Pius XI. macht. Er sagt:

»Hier spricht der Apostel denen das Urteil, die nicht arbeiten mögen, obwohl sie arbeiten könnten und müßten; zugleich mahnt er, die Gottesgabe der Zeit, sowie unsere körperlichen und geistigen Kräfte fleißig zu nutzen und nicht anderen zur Last zu fallen, wo wir uns selbst helfen könnten. Davon, daß Arbeit allein ein Reeht auf Lebensunterhalt oder Einkommen verleihe, sagt der Apostel kein Wort.«

Bleibt er arbeits- und verdienstlos, so setzt er wie in allen Lebenslagen sein unerschütterliches Vertrauen auf den, »der dieVögel nährt und die Lilien kleidet, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt«, und der uns hat sagen lassen: »Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch zugegeben werden« (Matth. 6,33).

Schon im Alten Testament hat er versprochen: »Gesegnet der Mensch, der sein Vertrauen auf den Herrn setzt und dessen Zuversicht der Herr ist; er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und in feuchtem Grunde wurzelt. Er fürchtet sich nicht, wenn auch die Hitze kommt, sein Blatt bleibt grün, und zur Zeit der Dürre sorgt er sich nicht« (Jer. 17, 7 f.). »Darum wirf deine Sorgen auf den Herrn, er wird dich erhalten« (Ps. 54, 23).

Der hl. Katharina von Siena soll der Herr einmal in einer Erscheinung verheißen haben: »Meine Tochter, denke an mich, und ich werde beständig an dich denken!« Die hl. Theresia hatte in ihrem Gebetbuch einen Zettel, auf dem folgendes von ihr verfaßtes Gedicht stand:

»Nichts soll dich ängstigen!

Nichts dich erschrecken!

Alles vergeht.

Gott bleibt derselbe.

Stille Geduld alles erreicht.

Wer Gott besitzet, nichts kann dem fehlen.

Gott nur genügt!«

So ist der Werktagsheilige in all seiner Not ganz in Gott geborgen. Gott ist ihm in Wahrheit alles: »Ein Brot, wenn er hungert; ein Wasser, wenn er dürstet; ein Licht in der Finsternis; ein Kleid, wenn er nackt ist« (Augustinus).

Die Gottesliebe läßt ihm auch keine Ruhe, bis er den letzten Wunsch des Heilandes erfüllt: »Gebt, so wird euch gegeben werden: ein gut gerütteltes, zusammengedrücktes und überfließendes Maß wird man euch in den Schoß schütten« (Luk. 6,38).

Gern teilt er mit seinen Mitmenschen das karge Brot seiner Armut.

So befolgt er das Wort des Täufers: »Wer zwei Röcke hat, gebe dem einen, der keinen hat, und wer Speise hat, tue desgleichen« (Luk. 3,11). Und er ist sich dabei bewußt, daß der, »der einem hilfsbedürftigen Bruder beisteht, Jesus bei der Hand faßt«, den Erstgeborenen unter vielen Brüdern (Thomas von Kempen). Mit dem Apostel Paulus kann er sprechen: »Ich weiß mich zu bescheiden, und ich weiß mich im Überfluß zu schicken. Mit allem und jedem bin ich vertraut, mit dem Sattsein und mit dem Hungrigsein, mit dem Überflußhaben und mit dem Darben. Alles vermag ich in dem, der mich stärkt« (Phil. 4,12f.).

2. Weil die Liebe den Werktagsheiligen drängt, ob er nun zu der besitzenden oder besitzlosen Klasse gehört, geht Wärme und Licht von ihm aus, wo er geht und steht. Auch seine wirtschaftlichen Beziehungen sind davon durchsonnt. In der Schule des Heilandes und der Heiligen hat er gelernt, daß nicht Gerechtigkeit allein, sondern Gerechtigkeit und Liebe das Fundament der sozialen und wirtschaftlichen Wohlfahrt ist. So lebt und strebt er ganz aus dem Geiste, den Pius XI. für die heutige Zeit so stark sich ersehnt:

»Den Hauptanteil an allem aber muß die Liebe haben, die das Band der Vollkommenheit ist (Kol. 3,14). Einer großen Täuschung erliegen daher alle unbesonnenen Reformer, die einzig bedacht auf Herstellung der Gerechtigkeit - und obendrein nur der Verkehrsgerechtigkeit! - die Mitwirkung der Liebe hochmütig ablehnen. Gewiß kann die Liebe kein Ersatz für geschuldete, aber versagte Gerechtigkeit sein. Aber selbst wenn der Mensch alles erhielte, was er nach der Gerechtigkeit zu erhalten hat, bliebe immer noch ein weites Feld für die Liebe: die Gerechtigkeit, so treu sie auch immer geübt werde, kann nur den Streitstoff sozialer Konflikte aus der Welt schaffen; die Herzen innerlich zu verbinden vermag sie nicht. Nun ist aber die innere Gesinnungsverbundenheit unter den Beteiligten die feste Grundlage aller Einrichtungen zur Sicherung des sozialen Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Menschen. Das gilt gerade auch von den vortrefflichsten Veranstaltungen dieser Art. Ja, die Erfahrung lehrt immer wieder, daß ohne solche Gesinnungseinheit die weisesten Anordnungen zu gar nichts nütze sind. Ein wahres Zusammenwirken aller zu dem einen Ziel des Gemeinwohls ist daher nur dann möglich, wenn die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sich ganz durchdringen lassen von dem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit als Glieder einer großen Familie, als Kinder eines und desselben himmlischen Vaters, wenn sie sich fühlen als ein Leib in Christus, »einer des andern Glied« (Röm. 12,5), so daß, »wenn ein Glied leidet, alle anderen mit ihm leiden« (1. Kor. 12,26). Alsdann werden die vermögenden und einflußreichen Kreise ihre frühere Gleichgültigkeit gegenüber ihren weniger mit Erdengütern gesegneten Mitbrüdern in fürsorgliche und tätige Liebe wandeln; deren gerechtfertigten Ansprüchen werden sie großherzig entgegenkommen; allenfallsigen Fehlern und Mißgriffen gegenüber werden sie verstehende Nachsicht üben. Umgekehrt werden die Arbeiter allen Klassenhaß und Klassenneid, den die Hetzer zum Klassenkampf so geschickt aufzupeitschen verstehen, aufrichtig ablegen; sie werden den von der göttlichen Vorsehung innerhalb der menschlichen Gesellschaft ihnen zugewiesenen Platz nicht bloß willig einnehmen, sondern zu schätzen wissen in dem erhebenden Bewußtsein des Wertes und der Ehre, die einem jeden zukommen, der an seinem Platze rechtschaffen seinen Beitrag zum allgemeinen Wohl leistet; ja, sie dürfen sich sagen, in besonderer Weise demjenigen auf seinem Wege nachzufolgen, der, da er in der Herrlichkeit Gottes war, Handwerker hier auf Erden sein und für einen Handwerkersohn gehalten werden wollte.

Von solch neuer Ausgießung des Geistes der Frohbotschaft, des Geistes christlicher Mäßigung und allumfassender Liebe, versprechen Wir Uns die ersehnte durchgreifende Erneuerung der menschlichen Gesellschaft in Christus und den »Frieden Christi im Reiche Christi«, wofür Wir mit all Unsern Kräften, all Unserer Hirtensorge zu arbeiten gleich eingangs Unseres Pontifikates Uns vorgenommen und zum unverrückbaren Ziel gesetzt haben« (Rundschreiben Ubi arcano. 23. Dez. 1922).

3. Liebe löst alle Rätsel. Nicht wenige fürchten, Armut in Einrichtung und Kleidung verderbe den Geschmack und mache gemütsroh. Zum Belege weisen sie auf praktische Beispiele aus dem Alltagsleben hin. Und wiederum meint man: Besser ein geschmackvolles Zimmer und Freude an schönen Kleidern und Einrichtungen, als seinem Triebleben die Zügel schießen und Ersatzbefriedigungen suchen lassen auf anderen, viel gefährlicheren Gebieten.

Wer so spricht, weiß nicht, was Armut im Geiste bedeutet. Er macht die Rechnung ohne die Liebe, hat wohl auch im praktischen Leben noch keine Armen im Geiste Christi kennengelernt. Wer in der Gottesliebe fest gegründet ist, ist innerlich gelöst von Teil- und Scheingütern. Einfachheit, Anspruchs- und Bedürfnislosigkeit sind für ihn Ausdruck und Schutzmauer eines großen seelischen Reichtums, der rückwirkend und rückstrahlend Herz und Gemüt vor Verrohung und Vergewaltigung, Haus und Hof und Herd bewahrt vor Vernachlässigung, Ungemütlichkeit und Schmutz.

Die Welt erzittert und erbebt unter der Wucht und Dringlichkeit der ungelösten sozialen Fragen. Gäbe Gott uns mehr Werktagsheilige in allen Klassen und Berufen, in Arbeiter- und Unternehmerkreisen, so könnten die Erschütterungen in der menschlichen Gesellschaft leichter und schneller überwunden werden. Ein englisches Sprichwort sagt: »Christen sind die einzige Bibel, die Weltleute noch lesen.« So sind Werktagsheilige heute mehr wie je das Salz der Erde und das Licht der Welt. Sie reden nicht viel, aber sie handeln, beten und arbeiten viel und gottgefällig. So erreichen sie bei sich und in ihrer Umgebung zunächst eine Gesinnungsreform, die eine Zuständereform langsam vorbereitet, beseelt und fruchtbar macht. Sie sind Optimisten, weil sie Gott gehören und wissen, daß der Sieg doch einmal auf seiten Gottes sein muß. Sie wirken auf ihre Umgebung wie Sauerteig. Möge Gottes Güte uns viele Werktagsheilige schenken!

P. Doyle pflegte gern zu beten: »Allmächtiger Gott, mache mich zu einem großen Heiligen und schone nicht meine schwache Natur!« Ob ich es wagen darf, die Allmacht Gottes anzurufen, ohne die meine ichsüchtige Natur nicht umgestaltet werden kann, und zu sprechen: Allmächtiger Gott, mache auch mich zu einem Werktagsheiligen, schone nicht und hilf, daß ich nicht schone meine arme, schwache Natur! Schone dafür unser armes Volk und segne und schütze unsere heilige Kirche und unser teures Vaterland!

Jedenfalls können nur Heilige, echte, leibhaftige Werktagsheilige, die heutige Zeit retten. Wie Elias auf dem Berge Karmel, so tritt jetzt der Herr vor sein Volk und fragt: »Wie lange noch hinkt ihr nach beiden Seiten? Ist der Herr Gott, so folget ihm; ist es aber Baal, so folgt diesem« (3 Kön. 18,21). Alles Halbe wird heute über den Haufen geworfen. Nur der Geist des Ganzen kann sich behaupten. Und haben wir nicht den Mut, die Hand selbst auszustrecken nach dieser Ganzheit, nach dem Ideal des Werktagsheiligen, so wollen wir wenigstens durch unser Beten, Opfern und Kämpfen die Atmosphäre schaffen, in der große Männer und Frauen wachsen und gedeihen können, wollen dankbar sein, wenn wir ein Steinchen sein dürfen an dem Postament, auf das einmal die Werktagsheiligen unserer Zeit zu stehen kommen.


  1. Keppler, Mehr Freude, S. 181 f.